In seinem letzten Brief an seine Frau schreibt Georg Groscurth: "Liebe, gute, treue Anneliese, nun ist es soweit: In einer halben Stunde wird das Urteil vollstreckt." Der Arzt gehört zusammen mit dem Zahnarzt Paul Rentsch, dem Architekten Herbert Richter und dem Chemiker Robert Havemann zur Widerstandsgruppe "Europäische Union".
Die Gruppe ist gut vernetzt. Richter arbeitet im Stab von Hermann Göring, Groscurth behandelt den "Führer"-Stellvertreter Rudolf Heß. Das Insiderwissen nutzen sie, um Juden und Zwangsarbeitern zu helfen. Ihr großes politisches Ziel: Sie wollen die Nazi-Diktatur durch einen menschlichen Marxismus ersetzen, der persönliche Freiheit garantiert, Einzelstaaten überwindet und ein vereinigtes Europa schafft.
Doch die Gruppe wird enttarnt. Richter, Groscurth und Rentsch werden am 8. Mai 1944 hingerichtet. Nur der Chemiker Robert Havemann entkommt der Guillotine, weil seine Forschungen als kriegswichtig gelten. Insgesamt kommen 40 Mitglieder und Anhänger der Europäischen Union vor den Volksgerichtshof. 14 werden zum Tode verurteilt.
Nach Kriegsende lebt Havemann in der
DDR und macht zunächst als Professor und Volkskammer-Abgeordneter Karriere. Mit den Jahren macht die politische Realität aus dem überzeugten Sozialisten einen Oppositionellen der DDR – und die Erinnerung an die "Europäische Union" verschwindet aus der ostdeutschen Gedenkkultur. Auch in der BRD werden die Widerstandskämpfer zunächst nicht gewürdigt, sondern als kommunistische Gruppe abgetan. Erst nach der Wiedervereinigung wird die "Europäische Union" allmählich als Widerstandsgruppe anerkannt.
In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:- wie die "Europäische Union" im Untergrund agiert,
- warum ausländische Zwangsarbeiter wichtig für revolutionäre Pläne sind,
- durch welches Unglück die Gruppe enttarnt wird,
- seit wann die Widerstandsgruppe in der Erinnerungskultur doch noch breitere Anerkennung erfährt.
Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:- Bernd Florath, Historiker
- Robert Havemann, Chemiker und später DDR-Dissident
- Abschiedsbrief von Georg Groscurth
Weiterführende Links:Welches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an
zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens!
Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Heiner Wember
Redaktion: Gesa Rünker
Technik: Moritz Raestrup