Der CDU-Parteitag ist nach drei Tagen am Mittwoch zuende gegangen, das neue Grundsatzprogramm der CDU steht. Der wiedergewählte Parteichef Friedrich Merz hat klar gemacht: Er will die CDU wieder konservativer ausrichten, steht für Wehrpflicht, Grenzkontrollen. Und für eine Eindämmung der Migration.
Bei den beiden großen Kirchen stieß dieser Teil des CDU-Parteiprogramms auf scharfe Kritik. In einer gemeinsamen Aktion von mehr als 700 Pfarrerinnen und Pfarrern projizierten Aktivisten eine Botschaft auf das Tagungshotel des Parteitags in Berlin: "Nichts ist unchristlicher als Menschen in Not zurückzulassen und sich der eigenen Verantwortung billig zu entledigen."
Die Flüchtlingsbeauftragten der katholischen und der evangelischen Kirche formulierten zudem einen Aufruf, in dem sie vor einem radikalen Bruch der EU mit ihrem humanitären Erbe im Flüchtlingsschutz warnen:
Im Interview mit der Aktuellen Stunde verteidigte CDU-Parteichef Merz am Mittwoch den Kurs der Christdemokraten selbstbewusst: Man habe in der Flüchtlingspolitik die Bundespolitik bereits "korrigiert".
WDR: Herr Merz, markiert dieser Parteitag eine Zeitenwende hin zu einer deutlich konservativeren Union?
Friedrich Merz: Wir mussten nach 17 Jahren unser Grundsatzprogramm ganz wesentlich neu schreiben. Ein Beispiel: Das Wort Digitalisierung ist im alten Grundsatzprogramm überhaupt nicht vorgekommen. Wir leben in einer neuen Zeit. Wir mussten uns auf diese neuen Herausforderungen grundsätzlich neu einstellen. Und das Programm atmet den Geist der CDU: christlich, sozial, liberal und konservativ.
WDR: Der mit Abstand wichtigste Politikbereich wird in Zukunft der Klimaschutz sein. Ihre Europa-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen betreibt einen Green Deal, ein ganzes Bündel staatlicher Maßnahmen. Sie aber wollen das den Erfindern und Ingenieuren überlassen. Wie passt das zusammen?
Merz: Das passt sehr gut zusammen, weil wir einfach mal die Voraussetzungen aufgeschrieben haben für einen erfolgreichen Klimawandel, wenn wir gleichzeitig Industrieland bleiben wollen. Wir müssen eine starke Volkswirtschaft bleiben. Erst dann ist das alles möglich, was mit dem Klimawandel auch an Veränderungen und an Kosten verbunden ist.
Und ganz anders als etwa die Grünen wollen wir das nicht mit Regulierung, Bevormundung, immer stärkeren Gesetzen. Sondern wir wollen das mit vernünftigen marktwirtschaftlichen Instrumenten, technologieoffen. Das heißt, dass wir nichts verbieten, sondern Grenzwerte festsetzen, Perspektiven aufzeigen. Es dann aber dem Erfindungsreichtum aller Beteiligten – und dazu gehören natürlich Ingenieurinnen und Ingenieure, Wissenschaftler, Unternehmen – überlassen, zu sagen, wie wir diese Ziele erreichen. Und deswegen lehnen wir zum Beispiel auch das Verbot des Verbrennermotors ab.
WDR: Die Wehrpflicht - von der letzten CDU-Regierung seit 2011 ausgesetzt, soll schrittweise wiederkommen. Atomkraft - von der letzten CDU-Regierung wurde der Ausstieg beschlossen, jetzt heißt es: Nicht verzichtbar. Was entgegnen Sie den Kritikern, die sagen: Mit Merz marschiert die Union zurück in die 1990er?
Merz: Darüber kann ich wirklich nur herzlich lachen. Wir haben in der Flüchtlingspolitik den Kurs in der Bundestagsfraktion schon im letzten Jahr korrigiert. Das haben wir jetzt in der Partei nachvollzogen und einstimmig beschlossen. Wir haben in der Energiepolitik etwas korrigiert, was in anderen Ländern schon längst korrigiert worden ist: Zurzeit sind in der Welt 600 Kernkraftwerke in Betrieb, 40 neue im Bau. Wir dagegen schalten in Deutschland die drei sichersten, die wir hatten, ab.
WDR: Und in der Migrationspolitik ist zumindest in Ihrem Programm das Merkelsche "Wir schaffen das" Geschichte - und Helmut Kohls Idee vom Europa ohne Grenzen auch. Ist das wirklich alternativlos?
Merz: Ich habe als junger Europa-Abgeordneter immer schon gesagt: Wenn wir die Binnengrenzen öffnen, müssen wir die Außengrenzen schützen. Wir sind zurzeit nicht in der Lage, die Außengrenzen zu schützen. Und deswegen müssen wir auf Zeit an den Binnengrenzen Kontrollen ermöglichen, um die irreguläre Migration zu stoppen.
Das fällt uns sehr schwer, weil wir an nichts so sehr glauben wie an die Freiheiten des europäischen Binnenmarktes. Das ist sozusagen Kernbestandteil unserer Europapolitik: der Binnenmarkt, die Freizügigkeit in Europa. Das muss auch so schnell wie möglich wieder hergestellt werden – aber darf nicht zulasten der Städte und Gemeinden gehen, die jetzt die große Zahl der Flüchtlinge nicht mehr wirklich gut unterbringen und vor allem nicht integrieren können.
WDR: Eine Antwort sind Sie auf diesem Parteitag schuldig geblieben: Mit welchem Partner Sie das alles in einer Regierung durchsetzen wollen. Sie sagen: AfD - nein. Grüne - Hauptgegner, und auf keinen Fall in der nächsten Regierung. Bleibt nur noch die GroKo?
Merz: Wir gehen ohne Koalitionsaussage in die Wahlen. Wir kämpfen für uns, wir wollen so stark werden, dass ohne uns und gegen uns nicht regiert werden kann. Und am besten so stark, dass wir mehrere Optionen haben, mit denen wir dann auch sprechen können. Das Wichtigste ist, dass wir so stark werden, dass sich andere nach uns richten müssen und nicht umgekehrt.
WDR: Kanzler-Kandidaten wollen Sie im Herbst festlegen. Können Sie sich persönlich nach diesem Parteitag noch einen Kandidaten vorstellen, der nicht Friedrich Merz heißt?
Merz: Wir werden die gemeinsame Entscheidung zwischen CDU und CSU im Spätsommer treffen, so wie wir es verabredet haben. Und dabei bleibt es.
Das Interview wurde am 08.05.2024 für die Aktuelle Stunde geführt. Das Gespräch führte Martin von Mauschwitz.