Wann sollte die Herkunft von Kriminellen oder Tatverdächtigen genannt werden - und wann nicht? Die Entscheidung fällt Journalisten oft schwer, eine eindeutige Ja- oder Nein-Antwort gibt es meistens nicht. Auch wir im WDR haben keine einfache Regelung gefunden, die für alle Fälle gilt. Stattdessen ist es uns wichtig, jeden Einzelfall sorgfältig abzuwägen und diesen Abwägungsprozess für Sie transparent und nachvollziehbar zu machen. Wir veröffentlichen die Prüfkriterien hier, damit Sie, das Publikum, unsere Entscheidungen besser nachvollziehen können.
Nennung kann Vorurteile schüren - Nichtnennung auch
Wir wollen mit unserer Berichterstattung keine Vorurteile schüren oder Stereotype bedienen. Dies kann geschehen, wenn die ausländische Herkunft von Straftätern und Straftäterinnen genannt wird. Aber auch eine Nicht-Nennung kann Vorurteile fördern, etwa gegen die Medien selbst.
Die "Kölner Silvesternacht" 2015/16 markierte einen Paradigmenwechsel in der Diskussion um den medialen Umgang mit ausländischen Straftätern und Straftäterinnen oder Tatverdächtigen. Seitdem sehen sich Redaktionen heftigen Vorwürfen aus der Öffentlichkeit ausgesetzt: Von "Bevormundung" der Bevölkerung ist manchmal die Rede. Selbst der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière betonte in einem Interview, Journalismus dürfe einen Migrationshintergrund nicht verschweigen, um sich nicht dem Vorwurf der bewussten Verzerrung auszusetzen.
Würden wir auch die norwegische Herkunft nennen?
Wir beschäftigen uns intensiv mit diesem Thema und stellen uns den damit einhergehenden journalistischen, presseethischen und strukturellen Fragen: Wann ist die Herkunft relevant? Wann muss sie genannt werden und wann spielt sie keine Rolle? Ergibt es Sinn, sie nicht zu nennen, wenn alle anderen Medien es tun? Und auch: Würden wir uns diese Fragen stellen, wenn der Täter oder die Täterin eine andere Herkunft hätte und Norweger statt Syrer wäre, Franzose und nicht Kurde? Und letztlich: Wie wägen wir die Gefahr einer Diskriminierung von Bevölkerungsgruppen gegen das Informationsinteresse ab?
Realität als Ausschnitt
Die folgenden Kriterien legen wir bei der Prüfung der Frage zu Grunde, ob wir die Herkunft mutmaßlicher Täter nennen oder nicht:
- Die Herkunft eines Täters/einer Täterin oder Tatverdächtigen ist in der Regel nicht alleiniger Grund für eine Berichterstattung.
- Je weniger wir über die Hintergründe einer Tat wissen, desto zurückhaltender sind wir bei der Nennung der Herkunft.
- Das Argument "andere Medien nennen die Herkunft" reicht nicht aus, um eine Herkunftsnennung zu rechtfertigen.
- Entwicklungen in der journalistischen Recherche oder in den Ermittlungen können dazu führen, dass wir zu einem späteren Zeitpunkt zu einer anderen Entscheidung kommen. Wir begründen die Entscheidung, um unserem Publikum gegenüber glaubwürdig zu bleiben.
- Wir sind uns bewusst, dass öffentliche/behördliche Quellen ein selektives Bild liefern. Die Polizei nennt nach eigener Aussage fast immer die Herkunft.
- Die Nennung des Flüchtlingsstatus ist genauso präzise abzuwägen wie eine Nennung der Herkunft.
- Wir achten darauf, dass wir bei der Berichterstattung keine Ängste und keinen Hass schüren und die Realität weder durch besondere Hervorhebung noch durch Verschweigen von Tatsachen verzerren.
- Wir berücksichtigen, dass unsere Berichterstattung über individuelles Fehlverhalten zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung oder zu Fehlinterpretationen führen kann.
- Uns ist bewusst, dass eine Nichterwähnung der Herkunft ebenfalls zu Fehlinterpretationen führen kann. Unsere Glaubwürdigkeit könnte dadurch sogar Schaden nehmen.
- Deshalb wägen wir jeden Fall genau ab und können unsere Entscheidung gut begründen.
Oft keine eindeutige Entscheidung
Diese Kriterien decken wahrscheinlich nicht alles ab, was es im Einzelfall zu prüfen gilt. Aber sie helfen bei der Bewertung, so schwer sie auch mitunter sein mag. Denn oft gibt es gute Gründe, die für die Nennung der Herkunft sprechen, ebenso wie dagegen. Es läuft also meist auf eine Abwägung hinaus.