Monatelang wurde verhandelt, jetzt gibt es eine Einigung. Der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky steht vor einem Einstieg ins Stahlgeschäft von Thyssenkrupp. Kretinskys Holding EPCG soll erst mal 20 Prozent an der Sparte Thyssenkrupp Steel Europe übernehmen, teilte das Unternehmen am Freitag in Essen mit. Über die Konditionen des Geschäfts sei Stillschweigen vereinbart.
Zustimmung zu Transaktion erforderlich
Kretinskys Einstieg sei noch für das laufende Geschäftsjahr 2023/24 geplant, hieß es weiter. Die zuständigen Behörden sowie der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp müssen aber noch zustimmen. Zudem werde über die Übernahme von weiteren 30 Prozent am Stahlgeschäft verhandelt. Ziel sei weiterhin die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem beide Partner je 50 Prozent halten.
Die Nachricht komme überraschend, erklärte der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende des Mutterkonzerns Thyssenkrupp, Jürgen Kerner, am Freitag laut einer Mitteilung. "Die Mitbestimmung hat nur wenige Stunden vor der Öffentlichkeit von der Entscheidung erfahren. Das ist kein guter Stil und kein guter Start." Kerner ist auch stellvertretender IG Metall-Vorsitzender.
Wer ist Daniel Kretinsky?
Kretinsky wurde 1975 in Brünn, Tschechien, geboren. Er ist studierter Jurist, Investor – und reich. Sein Vermögen wird nach früheren Angaben von "Forbes" auf 9,7 Milliarden Dollar geschätzt. Auch in Deutschland ist er kein Unbekannter. Sein Energieversorgungsunternehmen, Energetický a Průmyslový Holding (EPH), an dem Kretinsky 50 Prozent plus eine Aktie hält, besteht aus mehr als 70 Firmen aus dem Bereich Energie. Dazu zählen etwa Beteiligungen an den ostdeutschen Braunkohleverstromern Mibrag und LEAG. Zusammen erzielten alle diese Firmen 2023 EPH zufolge einen Umsatz von 24,2 Milliarden Euro - und einen Gewinn von 4,7 Milliarden Euro.
In Deutschland hält Kretinsky über seine Gesellschaft EPGC 49,99 Prozent der Stimmrechte am Lebensmittelgroßhändler Metro. In Frankreich hat sich ein Konsortium unter seiner Führung das Sagen bei der Kette Casino gesichert. Zu Kretinskys Reich zählen außerdem Beteiligungen beim US-Sportartikel-Konzern Foot Locker und an der britischen Supermarktkette Sainsbury's.
Mögliche Synergien mit der Energiebranche
Ist es sinnvoll, dass Thyssenkrupp ausgerechnet mit jemandem zusammengeht, der auch in der Energiebranche mitmischt? "Durchaus", sagt Stefan Dietzfelbinger von der IHK Duisburg-Niederrhein. Die größten Kosten im Stahlbereich seien die Energiekosten - sie seien erheblich gestiegen und belasteten den Standort und die Stahlbranche. "Hier könnten Synergien entstehen."
Dietzfelbinger sagt, es sei eine Chance für den Stahlstandort Duisburg, dass sich ein Investor beteiligt und "hoffentlich auch hier in den Stahlbereich investieren will". Darauf setze auch die Region.
Thyssenkrupp-Aktie steigt um mehr als zehn Prozent
Die Einigung von Thyssenkrupp mit Milliardär Kretinsky beflügelt derweil die Aktien des Industriekonzerns. Die Aktie stieg in der Spitze um mehr als zehn Prozent. Seit Jahresbeginn hatten Thyssen-Aktien knapp 30 Prozent an Wert verloren. "Endlich passiert mal was", sagt ein Händler. Allerdings sehe der Deal für ihn eher halbherzig aus, es fehlten ihm zudem Infos zu Details.
Zu welchem Preis der Anteil aber verkauft wird, sagten beide Seiten nichts. Ein Experte der Baader Bank schätzt, dass Thyssenkrupp 350 Millionen bis 400 Millionen Euro erhalten könnte.
Krupp-Stiftung begrüßt die Pläne
Die Krupp-Stiftung, die mit rund einem Fünftel der Anteile größter Einzelaktionär des Ruhrkonzerns ist, begrüßte die Pläne. "Die Stiftung hat großes Vertrauen in den Vorstand um Miguel Lopez und ist weiterhin von dem Potenzial des Unternehmens überzeugt, wieder wettbewerbs- und dividendenfähig zu werden."
Betriebsbedingte Kündigungen sollen vermieden werden
Thyssenkrupp hatte Ende November Verhandlungen mit Kretinsky über dessen Einstieg ins Stahlgeschäft öffentlich gemacht. Konzernchef Miguel López erhofft sich dadurch eine Lösung: Er erwartet höhere Energiekosten durch den Umbau hin zu einer weniger klimaschädlichen Produktion. Dafür fehlt Geld.
Auf die bestehenden Betriebsvereinbarungen und Tarifverträge habe Kretinskys Einstieg keinen Einfluss. "Unser Ziel ist ein Zukunftskonzept, das zu wirtschaftlicher Selbstständigkeit und unternehmerischem Erfolg von Thyssenkrupp Steel führt, den Anforderungen des Klimaschutzes entspricht, betriebsbedingte Kündigungen vermeidet und eine breite Akzeptanz findet", sagte López.
Stellenabbau wegen schwächelndem Stahlgeschäft
Im vorigen Geschäftsjahr musste Thyssenkrupp Milliarden auf das Stahlgeschäft abschreiben - wegen einer schwachen Nachfrage von Seiten der Automobilindustrie sowie gesunkenen Preisen, gepaart mit höheren Kosten.
Das Unternehmen hatte vor Kurzem den Abbau von Kapazitäten am Standort Duisburg angekündigt, damit verbunden auch ein Stellenabbau. In der Sparte des Thyssenkrupp-Konzerns arbeiten etwa 27.000 Menschen, davon 13.000 in Duisburg. Bis Ende März 2026 gilt eine Beschäftigungsgarantie. Was passiert danach? Viele Menschen in Duisburg machen sich Sorgen und sind fassungslos.
Der Thyssenkrupp-Gesamtbetriebsrat und der Betriebsrat des Duisburger Werks berichten nach dem Bekanntwerden der Nachricht über viele Anfragen und Telefonate von Seiten der Belegschaft. Man sei überrascht und erschüttert gewesen. Die Fortexistenz des Duisburger Werks und betriebsbedingte Kündigungen seien "rote Linien", so die Betriebsräte.
Bundesarbeitsminister Heil spricht zur Belegschaft
Am Dienstag soll in Duisburg bei einer geplanten Belegschaftsversammlung aller Standorte von Thyssenkrupp Steel Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) per Video zu den Beschäftigten sprechen. Thema der Versammlung ist der geplante Abbau der Produktionskapazitäten.
Wie viele Beschäftigte an der nicht-öffentlichen Versammlung teilnehmen werden, ist noch offen. Der Gesamtbetriebsrat hält rund 10.000 Teilnehmer für möglich. Der neue Investor und der Vorstandschef sind zu der Versammlung eingeladen - um sich anzuhören, was die Belegschaft von den Plänen hält.
Unsere Quellen
- Nachrichtenagenturen DPA, Reuters