Silvester: Einsatzleiter dachte, alles im Griff zu haben
Stand: 18.03.2016, 18:54 Uhr
- Einsatzleiter der Kölner Polizei sagt vor Untersuchungsausschuss aus
- Günter Reintges behauptet, lange Zeit nichts von den Silvester-Übergriffen mitbekommen zu haben
- Die Abgeordneten wollen Reintges ein zweites Mal vorladen
Von Rainer Kellers
Günter Reintges ist so etwas wie ein Kronzeuge des Untersuchungsausschusses zur Silvesternacht. Der 57-jährige Polizeihauptkommissar hat den Einsatz in Köln geleitet. Er war derjenige, der die Räumung des Bahnhofvorplatzes kurz vor Mitternacht angeordnet hatte. Und er ist derjenige, dem NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) einen gravierenden Fehler vorwirft. Und zwar deshalb, weil er in der Silvesternacht keine Verstärkung angefordert hat. Reintges und seine etwa 80 Beamten konnten die massenhafte sexuelle Belästigung hunderter Frauen, das Begrapschen und Beklauen, nicht verhindern. Mehr noch: Er will davon lange Zeit gar nichts mitbekommen haben.
Es ist wohl eines der größten Rätsel dieses katastrophalen Einsatzes in der Silvesternacht. Und der erfahrene Polizist wiederholt immer wieder, wie schockierend es für ihn und seine Polizisten war, mitten im Gedränge zu stehen, aber nichts von den Übergriffen mitzubekommen. Die Abgeordneten im Ausschuss können das nicht verstehen, schütteln die Köpfe, stellen immer wieder dieselbe Frage: Wie kann das sein?
Bahnhofs-Gegend war kein geplanter Einsatzort
Die Ursachenforschung der Abgeordneten beginnt bei der Planung des Silvestereinsatzes. Reintges berichtet, dass er mit der Kräftezuteilung der Silvesternacht zufrieden war. Etwa 140 Mann, davon 80 Bereitschaftspolizisten, stehen zur Verfügung. Das ist ein Einsatz-Zug mit 38 Beamten mehr als im Jahr davor. "Komfortabel", sagt er. Zumal die Polizei laut Reintges keinen Hinweis auf die spätere Situation hatte, lediglich vor mehr Taschendieben sei gewarnt worden. Dass die Gegend rund um den Bahnhof zum Hotspot werden würde, war der Polizei offenbar ebenso unklar. Der Bahnhof gehörte nicht zu den vorab definierten Einsatzorten. Das heißt: Anders als auf den Ringen und in der Altstadt waren dort bis etwa 22:30 Uhr nur vereinzelte Polizisten im Einsatz. So mancher Abgeordnete hält das für bedenklich. Reintges sagt aber, am Bahnhofsvorplatz habe es in den Jahren zuvor nie Probleme gegeben.
Bei der Anreise schon eine Ahnung gehabt
Menschenmenge überforderte Einsatzkräfte
Dass es an diesem Silvesterabend anders laufen könnte, davon hatte der Einsatzleiter schon sehr früh eine Ahnung, sagt er. Reintges selbst nämlich war mit seiner Tochter mit der Bahn nach Köln gefahren: die Tochter, um zu feiern, er, um zu arbeiten. Schon da, gegen 20:30 Uhr, will er um die 400 "nordafrikanisch aussehende Migranten" vor dem Bahnhof gesehen haben. Sie hätten viel getrunken und sich Böller zwischen die Beine geworfen. "Die haben gefeiert, waren gut drauf und offensichtlich nicht geübt mit Böllern und Alkohol", sagt er. In der ersten Besprechung des Abends um 21:30 Uhr will Reintges das erwähnt haben. Die Kollegen sollten "ein Auge darauf haben".
Gegen 22:45 Uhr hat Reintges nach eigenen Angaben erstmals erfahren, dass die Situation am Bahnhof eskaliert. Er sei sofort hingefahren. "Ich muss vor Ort ein Gefühl für die Lage haben", sagt er. Günter Reintges ist ein zupackender Typ, "Joe Bombe" soll sein Spitzname sein, hat der WDR erfahren.
Tumult-Lage am Bahnhof
Am Bahnhofsvorplatz empfängt ihn, wie er sagt, eine "Tumult-Lage". Mehr als tausend Migranten, die meisten betrunken, schießen Feuerwerkskörper in die Menge. Reintges fürchtet eine Massenpanik und beschließt, den Vorplatz räumen zu lassen. Er zieht die Bereitschaftspolizei zusammen und lässt die Menge vom Platz wegdrängen - offenbar ohne größere Schwierigkeiten. Es ist 0:15 Uhr - und jetzt beginnt die Schilderung von Reintges unverständlich zu werden.
Denn der Einsatzleiter behauptet, die Lage habe sich nach der Räumung beruhigt. Kein Grund also, Verstärkung anzufordern. Der Platz wurde wieder freigegeben, vereinzelt hätten sich Migrantengruppen wieder eingefunden. Ein paar hundert vielleicht, kein Vergleich zur "Tumult-Lage" vorher. Dass genau jetzt die massenhaften Übergriffe gegen Frauen passierten, will er nicht bemerkt haben. Er fährt zur Wache und trifft dort viele weinende Frauen an, erfährt von sexuellen Übergriffen. Das bringt ihn dazu, erneut Kräfte am Bahnhof zusammenzuziehen und selbst nach dem Rechten zu schauen. Mehr als zwei Stunden habe er in der Nähe des Bahnhofseingangs gestanden - ohne etwas von Übergriffen zu bemerken.
"Diese Lage existierte für uns nicht"
Warum nur? Niemand habe seinen Leuten etwas zugetragen, sagt er. Kein einziger Notruf sei eingegangen. Es sei laut gewesen, man habe keine fünf Meter weit sehen können. "Diese Lage existierte für uns nicht", sagt er. Es ist für die Abgeordneten sichtlich schwer, das zu glauben. Die Schilderung sei kaum in Einklang zu bringen mit den Berichten von Frauen, die in drangvoller Enge eingekesselt, begrapscht und bestohlen worden seien, hält ihm der Ausschussvorsitzende Peter Biesenbach (CDU) entgegen. Schließlich entscheiden die Obleute der Fraktionen, weitere Ermittlungsergebnisse abzuwarten und Reintges später noch einmal vor den Ausschuss zu laden.