Sechs Monate ist es her, dass Ricarda Louks Tochter getötet wurde: Die Deutsch-Israelin Shani Louk wurde zum Symbol der Gräueltaten der Hamas beim Terrorüberfall am 7. Oktober. Erst dachte ihre Familie, Shani sei als Geisel in den Gazastreifen verschleppt worden. Nach Wochen des Bangens wurden sie über ihren Tod informiert. Doch beerdigen konnte ihre Familie sie bisher nicht. Auch heute setzt sich die Familie für die Freilassung anderer Geiseln ein.
WDR: Frau Louk, woher wissen Sie mit Gewissheit, dass Ihre Tochter, Shani Louk, nicht mehr lebt? Sie hatten bereits Anfang Oktober mit dem WDR gesprochen und dachten damals noch, dass Ihre Tochter von der Hamas als Geisel entführt wurde, nachdem Sie Ihre Tochter auf einem Entführungsvideo erkannt hatten.
Ricarda Louk: Ende Oktober um 23 Uhr nachts hat es an der Tür geklopft. Dort standen Mitarbeiter der Armee und eine Sozialberaterin und dann weiß man genau, dass sie eine schlechte Nachricht überbringen. Sie haben uns mitgeteilt, dass sie ein Stück von einem Schädelknochen von Shani gefunden haben und dass sie ohne den nicht am Leben sein kann. Und seit einem halben Jahr gibt es kein Zeichen mehr von ihr. Das bestätigt es noch mehr.
WDR: Sie gehen davon aus, dass Shani noch bei der Entführung in Israel getötet wurde und die Terrormiliz Hamas den Körper ihrer Tochter in den Gazastreifen mitgenommen hat. Konnten Sie denn mittlerweile Ihre Tochter beerdigen?
Ricarda Louk: Nein, sie gilt immer noch als Geisel. Ihr Körper wird immer noch dort festgehalten. Wir haben sofort eine Trauerfeier in Israel angefangen, wie das so üblich ist, und eine Woche lang getrauert, aber ohne Beerdigung. Wir warten immer noch darauf, den Körper doch noch zurückzubekommen. Wir werden ein Jahr abwarten, bis zum 7. Oktober. Wenn der Körper zurückkommt, dann werden wir noch ein richtiges Begräbnis machen, wenn nicht, werden wir wahrscheinlich ein leeres Grab aufstellen.
WDR: Der Freund Ihrer Tochter wurde ebenfalls von der Terrormiliz Hamas als Geisel entführt. Ist er mittlerweile frei gekommen?
Ricarda Louk: Wir wissen, dass er im Oktober eine lebende Geisel war. Seitdem haben wir nichts mehr gehört. Es gibt immer noch Bemühungen, ihn freizubekommen und wir hoffen, dass er am Leben ist. Er heißt Orion und ist aus Mexiko. Shani und er sind acht Monate zuvor viel gereist und er kam ein paar Tage vor dem 7. Oktober zu Besuch nach Israel. Sie wollte ihn eine Woche später mit nach Hause bringen, ich habe ihn nie getroffen.
WDR: Sie bangen weiterhin mit um die anderen Geiseln und haben auch Kontakt zu den anderen Familien der entführten Israelis. Sind Sie für einen Deal oder weiterhin für militärischen Druck, um die Geiseln freizubekommen?
Ricarda Louk: Inzwischen ist mir alles recht! Es ist sowieso schon schlimm, dass die Geiseln schon ein halbes Jahr dort sind. Und wir wissen wirklich nicht, in was für einer Verfassung sie zurückkommen. Und man muss so schnell wie möglich handeln, ob es jetzt ein Deal ist oder militärischer Druck.
WDR: Dieses Wochenende ist der 7. Oktober genau ein halbes Jahr her. Was bedeutet diese Zeit des Wartens für Angehörige der Geiseln?
Ricarda Louk: Es ist eine der schrecklichsten Zeiten, die ich je erlebt habe. Das Ungewisse ist viel schlimmer als das Wissen. Als wir die Nachricht bekommen haben, dass Shani nicht mehr am Leben ist, hatten wir wenigstens einen Abschluss und wir konnten trauern. Aber die drei Wochen Wartezeit: Man wird verrückt. Man denkt die ganze Zeit: Wo ist sie jetzt? Was geht in ihrem Kopf vor? Was tun sie ihr an? Hat sie Essen, Trinken? Man kann nicht mehr schlafen. Zusätzlich verspürt man jeden Tag einen Drang, man muss was machen: Interviews, Demonstrationen.
WDR: Woher nehmen Sie die Kraft, auch jetzt noch Interviews zu geben?
Ricarda Louk: Mich beschäftigt, wie das alles im Ausland gesehen wird. Der 7. Oktober wird schon halb vergessen. Der Fokus ist eben jetzt auf dem Gazastreifen und wie schlecht es denen dort geht. Man soll trotzdem nicht vergessen, was der Auslöser für das Ganze war und warum der Krieg überhaupt besteht. Und warum wir immer noch kämpfen, um unsere Geiseln freizubekommen. Man vergisst immer, dort sind noch lebende Geiseln, die wir auch rausholen müssen. Wir können nicht aufgeben, bis sie draußen sind. Viele im Ausland verstehen das nicht mehr. Und wir versuchen, die Leute daran zu erinnern.
Das Interview führte Cosima Gill, Reporterin im WDR Newsroom. Es wurde für die schriftliche Fassung sprachlich leicht angepasst und gekürzt.
Über dieses Thema berichtet der WDR am 06.04.2024 in den Hörfunknachrichten und voraussichtlich am 07.04.2024 in der Aktuellen Stunde ab 18.45 Uhr im WDR Fernsehen.