Eine Künstlerin befindet sich in einer Sinnkrise und beschließt als Selbstfindungstrip mit dem Auto von L.A. nach New York zu fahren. Die Mittvierzigerin ist mit einem Musikproduzenten verheiratet und hat ein Kind. Nach einer halben Stunde Autorfahrt ist die Reise aber schon vorbei.
Bei einem Tankstopp macht ihr ein junger Mann die Scheibe sauber. Der Anfang 30-jährige mit dem schrecklichen, flaumigen Lippenbart und seinem nicht ganz so schrecklichen Waschbrettbauch verdreht ihr total den Kopf. So sehr, dass sie nicht weiterfährt, sondern sich in ein Motel einmietet, um in der Nähe des jungen Mannes zu sein. Damit bringt sie ihre Ehe und ihr Familienleben in Gefahr.
Miranda July lässt ihre Protagonistin Höllenqualen erleiden, weil sie sich nach diesem Mann verzehrt. Sie masturbiert sehr viel und wir erleben als Leserschaft ihre sexuellen Fantasien und auch teils queeren sexuellen Erfahrungen. Das trägt bisweilen pornohafte Züge; eine wirklich sehr lustvolle literarische Angelegenheit. Dazwischen dann Problemgespräche mit ihrem Ehemann und intime familiäre Momente mit ihrem non-binären Kind. Alles in allem in einem locker ironischen und unterhaltsamen Ton erzählt. Meisterhaft.
Bei all dem Sex und überspannten Liebeskummer ist "Auf allen Vieren" dank der stilsicheren Übersetzung von Stefanie Jacobs auch im Deutschen ein skurriles und heiteres Buch, das viele kluge Gedanken über den Sinn des Lebens und das Älterwerden aus- und darstellt. Sicher irgendwie auch eine Selbsthilfebuch für Frauen in der Menopause; aber viel mehr als das. Eine Art Manifest und Feier weiblicher bzw. menschlicher Lust in jedweder Form.
Eine Rezension von Christoph Ohrem
Literaturangaben:
Miranda July: Auf allen Vieren
Aus dem Englischen von Stefanie Jacobs
Kiepenheuer & Witsch, 2024
416 Seiten, 25 Euro
