Stichtag

03. November 2004 - Vor 10 Jahren: Der Mauerschützen-Prozess gegen Erich Mielke wird eingestellt

Der Mann auf der Anklagebank im Berliner Landgericht wirkt teilnahmslos an diesem Herbsttag, wie an vielen Verhandlungstagen zuvor. Ein alter, gebrochener Mann, schwer depressiv, willenlos, wie Gutachter festgestellt haben. Deshalb stellt das Gericht am 3. November 1994 den Prozess gegen Erich Mielke ein – wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten. Der 86-jährige Mielke kann nun nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden für die Todesschüsse an Mauer und innerdeutscher Grenze. In die Freiheit wird Mielke nicht entlassen: Wegen der Beteiligung an zwei Polizistenmorden im Jahre 1931 muss er noch neun Monate Haft absitzen.

Erich Mielke ist einer der meistgehassten Männer des DDR-Regimes. Für die SED erledigt der überzeugte Kommunist die Drecksarbeit, baut den Spitzelapparat der Staatsicherheit auf. 1957 wird er Stasi-Minister – und bleibt es 32 Jahre lang, bis zum Untergang des "VEB Horch und Guck". Mielke und die Stasi schrecken vor nichts zurück: Entführungen aus dem Westen, Schauprozesse gegen Abtrünnige, Todesurteile, Schießbefehl an der Mauer. Rund 200.000 offizielle und inoffizielle Mitarbeiter hat die Schnüffelbehörde zuletzt, und doch kann sie den Untergang der DDR nicht aufhalten. Nach dem Mauerfall muss sich Erich Mielke vor der Volkskammer verantworten – ein unvergesslicher Auftritt: "Wir haben, liebe Genossen, liebe Abgeordnete, einen außerordentlich hohen Kontakt mit allen werktätigen Menschen", sagt Mielke. Als sich ein Abgeordneter beschwert, dass Mielke alle mit Genossen anspricht, antwortet der ehemals mächtige Mann weinerlich: "Ich liebe, ich liebe doch alle, alle Menschen."
Das bewahrt ihn nicht vor zahlreichen Prozessen und fast sechs Jahren Gefängnis. Nach seiner Haftentlassung 1995 lebt er noch fünf Jahre mit seiner Frau in einer kleinen Plattenbauwohnung in Berlin. Am 21. Mai 2000 stirbt Erich Mielke im Alter von 92 Jahren.

Stand: 03.11.04