Was wir jetzt mit der Digitalisierung erleben, ist Teil eines größeren Ganzen beziehungsweise der vorläufige Schlusspunkt einer Entwicklung, die seit Jahrhunderten anhält, sagt der Philosoph Gerhard Fitzthum: "Zu den Erkennungszeichen technisch hochentwickelter Gesellschaften gehört es, dass sie den körperlichen Aufwand reduzieren, der zur Bewältigung des Lebensaufwandes nötig ist." Beispiele dafür gibt es zur Genüge: Vom Kraftfahrzeug über den Dampfdruckreiniger – eben bis hin zum Smartphone, dank dessen Unterstützung wir uns nicht einmal mehr in der Welt orientieren können müssen.
Für Gerhard Fitzthum stellt sich nun die Frage, welchen Preis wir dafür bezahlen müssen. Und zwar in einer Zeit, in der diese Entwicklung durch die Digitalisierung, wenn man so will, auf die Spitze getrieben wird. Seine These: Wir verbringen mehr Zeit in den digitalen Welten als wir einsparen – dadurch geht auch Raum verloren für ein Leben jenseits des Digitalen. Also für ein Leben mit Bezug zur Natur und zur analogen Realität. Und das ist ein Problem, weil unser "Sinneninstrumentarium" genau für diese Realität geschaffen ist, so Gerhard Fitzthum. Eine zentrale Frage ist für ihn also, wie es möglich ist, trotzdem ein anderes, ein "analogeres" Leben zu führen. Hinter alldem sieht Gerhard Fitzthum nicht zuletzt auch eine Entwicklung, die seit der Antike anhält: "Die Philosophen der Antike definierten den Menschen als animal rationale, als denkendes Tier." Das seien wir auch – und zudem Sozialwesen. "Vergessen wird aber gerne, dass wir auch eine räumliche Ausdehnung haben und über unseren Körper Beziehungen zu der sichtbaren materiellen Welt unterhalten – einer Welt, in die wir nicht einfach von außen hineingesetzt wurden, sondern deren Teil wir auch sind."
Welche Bedeutung hat die Körperlichkeit für unsere Weltwahrnehmung? Geht "die Welt" durch die Digitalisierung verloren? Wie stehen Sie zur digitalen Entfremdung?
Hörer: innen können mitdiskutieren unter 0800 5678 555 oder per Mail unter philo@wdr.de .
Redaktion: Gundi Große
Literaturhinweis: Gerhard Fitzthum: Auf der Suche nach der verlorenen Welt. Verlag Die graue Edition, 2023.
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