Am Freitag sah Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) seinen Verdacht bestätigt: Es gäbe etwas, was den Justizdienst von andern Arbeitgebern abhebe, mutmaßte der Justizminister in Düsseldorf. Bei jungen Richtern und Staatsanwälten könne er stets ein "Feuer" spüren, so der Minister bei einer Pressekonferenz, bei der er Maßnahmen zur Entlastung der Staatsanwaltschaften vorstellte.
Doch bei einer seiner prominentesten Mitarbeiterin ist dieses Feuer mittlerweile erloschen. Anne Brorhilker, die Chef-Ermittlerin für Cum-Ex-Fälle, hat Anfang der Woche erklärt, die Staatsanwaltschaft Köln verlassen zu wollen. Brorhilker will sich in Zukunft in der Nicht-Regierungsorganisation "Finanzwende" engagieren, dort die Geschäftsführung übernehmen.
"Die Großen lässt man laufen"
Ihrem bald ehemaligen Arbeitgeber stellte sie dabei kein gutes Zeugnis aus: Die Strukturen im Kampf gegen Finanzkriminalität seien schlecht, sagt Brorhilker. Ihr für den Justizminister sowie das gesamte Rechtssystem wenig schmeichelhaftes Fazit: "Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen."
Anne Brorhilker hatte eine zentrale Rolle bei der Verfolgung von Cum-Ex-Steuerbetrügern eingenommen. Die Staatsanwaltschaft Köln ist bundesweit federführend bei der Aufarbeitung des Skandals. Unter Brorhilkers Führung wurde in rund 120 Cum-Ex-Ermittlungsverfahren gegen 1.700 Beschuldigte ermittelt. Erst 15 Tatverdächtige konnten bislang angeklagt werden.
Doch auch elf Jahre nach Bekanntwerden der ersten Cum-Ex-Fälle habe die Politik noch immer nicht hinreichend reagiert, stellte Brorhilker resignierend fest. "Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird."
Schaden von vielen Milliarden Euro
Durch den Cum-Ex-Betrug mit illegalen Aktiendeals, der seine Hochphase von 2006 bis 2011 hatte, wurde der deutsche Staat schätzungsweise um einen zweistelligen Milliardenbetrag geprellt. Er gilt als größter Steuerskandal der Bundesrepublik. Er ist immer noch nicht umfassend strafrechtlich aufgearbeitet. Lücken gibt es etwa bei der Rolle namhafter Großbanken und früherer Landesbanken wie der WestLB.
Noch mehr Geld als mit Cum-Ex soll dem Staat bei artverwandten Cum-Cum-Deals entgangen sein, die weiter verbreitet waren und kaum juristisch aufgearbeitet sind. Der Mannheimer Finanzwissenschaftler Christoph Spengel schätzt den Steuerschaden zwischen den Jahren 2000 und 2020 auf 28,5 Milliarden Euro.
Kritik an Umbau-Plänen Limbachs
Im Herbst vergangenen Jahres hatte NRW-Justizminister Limbach versucht, tiefgreifende Veränderungen bei der Staatsanwaltschaft Köln durchzusetzen, die auf breite Kritik gestoßen und als Entmachtung Brorhilkers verstanden worden waren. Limbach hatte argumentiert, es gehe nicht darum, sondern um eine Entlastung und Beschleunigung, damit die zahlreichen noch anhängigen Verfahren nicht verjähren. Der Minister gab sein Vorhaben schließlich auf.
Bevor Limbach am Freitag Maßnahmen zur Entlastung der Staatsanwaltschaften vorstellte, war er noch voll des Lobes über seine nun bald ehemalige Mitarbeiterin. Brorhilker habe "Pionierarbeit geleistet", so Limbach. "Sie hat mit ihren Ermittlungen den wohl größten Steuerskandal der Geschichte in Deutschland auf die Anklagebank gebracht und sich damit außerordentliche Verdienste bei der Bekämpfung von Finanzkriminalität erworben." Für die Justiz bedeute ihr Ausscheiden den Verlust einer "herausragenden Persönlichkeit".
Zahl unerledigter Fälle bei Staatsanwaltschaften gestiegen
Dass jeder Verlust an Arbeitskraft schmerzt, wurde danach auch direkt deutlich, als Limbach auf die unerledigten Fälle bei den Staatsanwaltschaften in NRW einging. Denn deren Zahl ist im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Ende 2023 waren demnach 242.677 Verfahren offen. Innerhalb von zwei Jahren stieg die Anzahl unerledigter Fälle demnach um fast 27 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt der Anstieg von damals 224.025 Fällen rund 9 Prozent.
Da das Arbeitspensum der Staatsanwaltschaften hoch sei, wolle die Landesregierung die Situation nun verbessern, teilte Limbach mit. "Von einer Kombination an Maßnahmen versprechen wir uns einen spürbaren Entlastungseffekt bei den Staatsanwaltschaften."
Flexiblere Einstellungsvoraussetzungen
Zu den Maßnahmen gehöre ein sogenannter Belastungsausgleich zwischen Staatsanwaltschaften und Gerichten, durch den 100 Richterstellen bis Ende des Jahres an die Staatsanwaltschaften übertragen werden. Daneben sollen 40 neue Stellen bei Staatsanwaltschaften entstehen und die Zahl der Ausbildungsstellen, etwa für Rechtspfleger, erhöht werden. Zudem soll der Quereinstieg zur Besetzung freier Stellen erleichtert werden.
Auch die Einstellungsvoraussetzungen für Staatsanwälte sollen - befristet bis Ende 2025 - flexibilisiert werden. Absolventen mit mindestens 7 Punkten im zweiten juristischen Staatsexamen sollen in Kombination mit besonderer Eignung eine Chance auf den staatsanwaltlichen Probedienst haben.
Über dieses Thema berichten wir auch am Sonntag um 19:30 Uhr in der Sendung Westpol.