Darum drohen NRWs Windenergie-Pläne zu scheitern
Stand: 14.04.2022, 17:42 Uhr
Nordrhein-Westfalen will die Windkraft-Leistung bis 2030 verdoppeln. Das aber wird schwierig. Denn der Platz ist knapp und bisher meist auch nur theoretisch nutzbar. Eine Analyse in Grafiken.
Von Lucas Tenberg (Text) und Alina Bilkis (Grafiken)
Der Ausbau der Windenergie kommt in ganz Deutschland nicht richtig voran. Auch Nordrhein-Westfalen (NRW) ist da keine Ausnahme. Dabei hat die Landesregierung ein ehrgeiziges Ziel: Sie will die Leistung der Windkraft bis 2030 verdoppeln.
Doch dieses Ziel ist bestenfalls theoretisch zu erreichen, jedenfalls unter den geltenden Rahmenbedingungen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Landesamtes für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (LANUV), die dem WDR vorliegt. Deren geplante Veröffentlichung wurde Ende März verschoben. Ende vergangener Woche präsentiert Energieminister Andreas Pinkwart (FDP) die gleiche Studie - mit einem anderen Fazit.
"Einfach zu viele optimistische Annahmen"
Demnach kann NRW sein Windkraftziel nicht nur erreichen, sondern sogar übererfüllen. Die Kritik folgt prompt. Christian Mildenberger, Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW (LEE), sagt etwa, es gebe "einfach zu viele optimistische Annahmen in dieser Studie, die wir so in der Realität nicht vorfinden".
Fest steht: Will NRW das selbstgesteckte Ziel erreichen, müssen politische Entscheidungen wie etwa die Nutzung von Waldflächen erst noch getroffen werden. Viel Platz für mögliche neue Windräder gibt es wegen der geltenden Abstandsregeln ohnehin nicht. Und um beinahe jeden Standort gibt es Streit.
Wo steht die Windenergie in NRW und wo soll es hingehen?
Im Dezember 2021 hat die Landesregierung "konkrete Maßnahmen" für den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien angekündigt und dabei ihre Ausbauziele höher gesetzt. Bis 2030 sollen nun 56 Prozent der in NRW benötigen Energie aus regenerativen Quellen stammen; zuvor lag das Ziel bei 50 Prozent.
Das betrifft auch die Windkraft: Bis 2030 sollen in NRW etwa 12 Gigawatt Strom aus Windenergie kommen. Bisher sind es rund sechs Gigawatt. Und der Zubau von Windenergie stagniert, wie Daten des LEE belegen. So sind im Jahr 2021 Anlagen mit einer Leistung von nur 331 Megawatt (MW) neu in NRW in Betrieb gegangen. Will die Landesregierung ihr Ziel erreichen, muss sie in den kommenden Jahren laut LEE einen Brutto-Zubau von 900 bis 1.000 Megawatt pro Jahr hinzufügen, also bis zu 200 moderne Windräder pro Jahr.
Hinzu kommt: Die 12 Gigawatt sind eigentlich nicht ambitioniert genug. Die Zahl berücksichtigt laut Madeline Bode vom LEE zwar die Verschärfung der Klimaziele im Klimaschutzgesetz des Bundes. Die Berliner Ampelkoalition strebt jedoch an, den Anteil der erneuerbaren Energien auf 80 Prozent zu erhöhen. Außerdem habe sich durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine die geopolitische Lage verändert. "Und das sind zwei Faktoren, auf denen man die 12 Gigawatt neu bewerten müsste. Das ist bisher aber nicht geschehen", so Bode.
Welchen Anteil hat Windenergie am Strommix?
Die erneuerbaren Energien führten in NRW "noch immer ein Schattendasein", kritisiert der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Ihr Anteil an der Stromerzeugung liegt derzeit bei etwa 17 Prozent - bundesweit sind es mehr als 40 Prozent. Knapp die Hälfte davon stammt aus der Windenergie. Braun- und Steinkohle sind aber weiterhin mit die wichtigsten Stromquellen in NRW; die Industrie, die mehr als die Hälfte des Stroms in NRW verbraucht, ist auf eine sichere Versorgung mit günstigem Strom angewiesen.
Wo könnten die benötigten Windräder gebaut werden?
Das ist die entscheidende Frage. Die meisten Flächen kommen wegen der in NRW geltenden Abstandsregelung nicht in Frage, nach der ein Windrad nicht näher als 1000 Meter an einer Siedlung stehen darf. Auch in der Nähe von Autobahnen, Bahntrassen oder Flughäfen, in Naturschutzgebieten und Wäldern können derzeit keine Anlagen gebaut werden.
Laut der aktualisierten Version der LANUV-Studie gibt es genügend Flächen für das Ziel der Landesregierung, zumindest in der Theorie. Das Land NRW könne zwar nicht zwei Prozent der Landesfläche für die Windenergie zur Verfügung stellen, wie es Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fordert. Der Bau von Windrädern ist dem LANUV zufolge aber auf 0,3 Prozent bis 1,7 Prozent der Landesfläche möglich. Die Studie arbeitet unter anderem mit einem "Leitszenario Energieversorgungsstrategie", das man mit optimistisch umschreiben muss. Demnach ist der Betrieb von Windenergieanlagen mit einer Leistung von bis zu 16,4 Gigawatt im Jahr 2030 möglich. Dafür wäre der Bau von 2.406 Anlagen nötig.
Die dafür nutzbaren Flächen konzentrieren sich auf einige wenige Kreise, vor allem im Regierungsbezirk Arnsberg. Hier müssten rund 900 Windräder entstehen. Im Bezirk Detmold wären es rund 600, in Bezirk Köln circa 550, im Bezirk Münster etwa 200 und im Regierungsbezirk Düsseldorf nochmals 100.
Welche Probleme stören den Ausbau?
Die Windenergie ist in der Bevölkerung nicht sonderlich beliebt, zumindest bei Anwohnern. So kam etwa eine Umfrage der Universität Siegen zu dem Ergebnis, dass mehr als 40 Prozent der Menschen in NRW Windkraft als eine Belastung für Anwohnende empfinden. Doch es gibt viele weitere Probleme, die den Ausbau bremsen:
Langwierige Planungsprozesse: Geeignete Standorte für Windräder zu finden ist schwer. Denn die Betreibenden haben eine lange Checkliste an Faktoren, die sie dabei berücksichtigen müssen. Wie sind die Windverhältnisse vor Ort? Entsprechen die Abstände zu Wohnhäusern und Verkehrswegen den Vorgaben? Leben im Planungsgebiet geschützte Arten? Das führt dazu, dass der Prozess der Planung und Genehmigung für Windenergieprojekte laut dem Bundesverband Windenergie schnell mal vier bis fünf Jahre dauern kann.
Die Mindestabstandsregel: Müssen zwischen jedem Windkraftrad und einer Siedlung 1.000 Meter Abstand liegen? CDU und FDP haben die Regel vor Jahren durchgesetzt. Und seitdem kämpfen SPD und Grüne dagegen an. Bisher ohne Erfolg. Erst kürzlich hat die Landesregierung die Mindestabstandsregel bestätigt.
Windkonzentrationszonen: Das sind von Kreisen oder Städten festgelegte Bereiche, in denen Windräder vorrangig gebaut werden sollen. Das Problem: Laut der LANUV-Studie liegen die meisten der geeigneten Flächen für Windräder bisher außerhalb dieser extra zugewiesenen Zonen. Daher kritisieren die Autoren der Studie das Konzept der Windkonzentrationszonen auch als hinderlich für den nötigen Ausbau.
Artenschutz: Das Thema ist nicht in die Flächenanalyse des LANUV mit einbezogen worden. Dies ist ein Problem, denn mehr als zwei Drittel der vom LANUV identifizierten Flächen für Windräder befinden sich innerhalb von Gebieten, in denen Vogelarten leben, für die Windräder eine Gefahr darstellen. Daher muss es im Zweifel Einzelfallprüfungen vor Ort geben. Die allerdings sorgen immer wieder für Streit. So kollidieren etwa oft die Interessen wie die des LEEs mit denen des Naturschutzbundes, der sich für den Schutz von Tieren, Pflanzen und deren Ökosystemen stark macht und deshalb immer wieder gegen den Bau von Windrädern klagt. Denn auch der Bau klimafreundlicher Windenergieanlagen kann die Artenvielfalt beeinträchtigen: Indem Flächen versiegelt werden oder indem Vögel in den Rotoren von Windrädern sterben.
Wälder: Über 18.000 Hektar - oder 30 Prozent - der für die Windkraft geeigneten Flächen liegen laut der LANUV-Studie im Wald. Das heißt: Ohne die stärkere Nutzung von Wäldern kann NRW sein Ziel nicht erreichen. Allerdings sorgen Windräder in Wäldern immer wieder für Spannungen zwischen Naturschützern und den Betreibern. Dabei kann ein Windrad im Wald viel mehr CO2 vermeiden als es die für den Bau abgeholzten Bäume könnten. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes muss ein halber Hektar Wald für eine Anlage gerodet werden. Diese Waldfläche kann pro Jahr 2,7 Tonnen CO2 aufnehmen. Im Gegensatz dazu spart eine typische Windkraftanlage mindestens 3.600 Tonnen CO2 im Jahr.
Kann man die Probleme lösen?
Ja, mit viel politischem Willen. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck will den Ausbau der Erneuerbaren mit seinem sogenannten Osterpaket beschleunigen. Zentral ist die neue Einstufung der erneuerbaren Energien: Deren Ausbau soll im "überragenden öffentlichen Interesse" stehen und sei eine "Frage der nationalen Sicherheit geworden". Das, so der Plan, soll eine vorrangige Behandlung von erneuerbaren Energien ermöglichen und Genehmigungsverfahren vereinfachen.
Der politische Rückenwind aus Berlin wird nötig sein, will NRW sein Ziel erreichen. Das LANUV schreibt, dass sein "Leitszenario" auf Annahmen beruhe, "die in Teilen auch Anpassungen der derzeitigen regulatorischen Rahmenbedingungen für die Windenergie voraussetzen".
So könnte eine stärkere Nutzung von Wäldern für die Windkraft in den Mittelpunkt rücken, etwa in bewirtschafteten Wäldern oder auf Kalamitätsflächen, also auf bereits abgestorbenen oder zerstörten Waldflächen.
Abschaffung der Abstandsregel könnte Schub für Windkraft bedeuten
Auch die Ausweisung von Windkonzentrationszonen durch die Kommunen bremsen den raschen Ausbau der Windkraft. Laut dem LANUV müssten alternative Steuerungselemente auf Bundesebene geprüft werden. Und natürlich braucht es auch eine Lösung im Dauerkonflikt zwischen der Windkraft und dem Artenschutz.
Doch den entscheidenden Schub könnte der Ausbau der Windenergie durch die Abschaffung der 1000-Meter-Abstandsregelung bekommen. Das bescheinigt der Landesregierung sogar ihre eigene Studie. Würde der Abstand von 1000 Metern auf 720 Meter verringert werden, würde das die zur Verfügung stehende Fläche für Windräder schon um 42 Prozent erhöhen. "Das ist einfach ein enormes Potenzial, das brachliegen bleibt", sagt die Grünen-Energieexpertin Wibke Brems.
Die Handlungsempfehlungen aus der Forschung und Wirtschaft sind also da. Aber was wollen die NRW-Parteien? Ein Blick in die Wahlprogramme und deren realpolitische Arbeit gibt Aufschluss: Demnach können sich SPD, Grüne und Linke vorstellen, Windräder in bewirtschafteten Wäldern zu bauen, CDU und FDP immerhin auf Kalamitätsflächen. Die Abschaffung der bestehenden Abstandsregeln bleibt für die Regierungsparteien aber ein rotes Tuch. Die AfD fordert sogar noch strengere Regeln.
Um das Ziel zu erreichen, die Leistung aus der Windenergie bis 2030 zu verdoppeln, gibt es laut LANUV also genügend Flächen in NRW. Das sieht auch Madeline Bode vom LEE so: "Es ist grundsätzlich erstmal positiv, dass es die Flächen gibt. Allerdings ist dieses Potenzial bisher größtenteils nur theoretisch abrufbar und unter den bisherigen politischen Rahmenbedingungen nicht umsetzbar."