Der Antisemitismus aus der Türkei: Gefahr für Deutschland
Aktuelle Stunde. 31.10.2023. UT. Verfügbar bis 31.10.2025. WDR. Von Nils Rode.
Distanzierung von Hamas - warum zögert die Ditib?
Stand: 03.11.2023, 12:27 Uhr
In einer gemeinsamen Erklärung sprachen sich Landesregierung und muslimische Verbände klar gegen den Hamas-Terror aus. Doch die Ditib gab den Text bislang wohl nicht an ihre Communitys weiter. Das sorgt für Kritik.
Von Nina Magoley
Noch vor wenigen Tagen sah es wie eine ganz große Geste aus: Vertreter jüdischer und muslimischer Verbände trafen sich, um sich gegenseitigen Beistand und Solidarität auszusprechen. Zuerst in der Kölner Synagogen-Gemeinde, am vergangenen Freitag dann in der Türkisch-Islamischen Sultan Ahmed Moschee in Bochum-Dahlhausen. Es ging darum, ein Zeichen zu setzen gegen die Terrorattacken der Hamas am 7. Oktober.
Gemeinsame Erklärung gegen "Gräueltaten der Hamas"
Bereits eine Woche zuvor, am 16. Oktober, hatte es ein Treffen zwischen Vertretern der islamischen Verbände in NRW und dem NRW-Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Nathanael Liminski (CDU), gegeben. In einer gemeinsamen, schriftlichen Erklärung verurteilten sie anschließend "die Gräueltaten der Hamas". Man werde nicht zulassen, heißt es in dem Text, "dass die terroristischen Angriffe der Hamas auf unseren Straßen bejubelt oder auch nur relativiert werden". Alle anwesenden islamischen Verbände hätten danach angekündigt, diese Botschaft der Verständigung unter den Gläubigen in ihren Communitys zu verbreiten, erinnert sich Liminski gegenüber dem WDR.
Ditib hält Erklärung zurück
Doch ausgerechnet beim größten Verband, der Ditib, scheint von der Solidaritätsbotschaft bislang nichts angekommen zu sein. Bis heute ist die gemeinsame Erklärung gegen den Hamas-Terror weder auf der Homepage noch in den sozialen Medien des größten islamischen Verbands in Deutschland zu finden.
Zentralmoschee der Ditib in Köln-Ehrenfeld
Ditib vertritt nach eigenen Angaben mehr als 960 Moscheevereine in Deutschland und über 70 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime. Sie steht unter direkter Kontrolle der Diyanet, des staatlichen Präsidiums für religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı) der Türkei.
Diyanet-Präsident hetzt gegen Israel
Von dort kommen statt Verständigung ganz andere Töne. In einem aktuellen Video auf X ist zu sehen, wie Ali Erbaş, Präsident der Diyanet, eine Erklärung abgibt. Eren Güvercin, Journalist und Mitglied der Alhambra-Gesellschaft, einem Zusammenschluss von Musliminnen und Muslimen für Völkerverständigung, schreibt auf X dazu die Übersetzung: "Jerusalem gehört den Muslimen. Palästina u Gaza sind Heimatländer der Muslime und werden es bis ans Ende der Zeit bleiben. Das zionistische Israel begeht in Gaza einen Völkermord mit seinen Angriffen, die auf einem schmutzigen und perversen Glauben basieren."
"Ditib will antisemitische Hasskommentare vermeiden"
Eren Güvercin: Botschaft muss in Communities ankommen
Nach Solidarität gegen den Hamas-Terror klingt das nicht. Für Eren Güvercin ist es auch nicht verwunderlich, dass die Ditib die in NRW beschlossene Erklärung entgegen ihrer Ankündigung nicht veröffentlicht: "Dort weiß man genau, was passieren würde, wenn man diese Nachricht oder etwa ein Foto von dem Treffen posten würde: Eine Flut von antisemitischen Kommentaren." Das genau wolle die Ditib vermeiden, vermutet Güvercin.
Kritik an Islamverbänden
Westpol. 22.10.2023. 22:35 Min.. UT. DGS. Verfügbar bis 22.10.2028. WDR.
Es reiche aber nicht aus, die gemeinsame Erklärung nur an die deutsche Medienöffentlichkeit zu kommunizieren, sagt Güvercin. "Der Sinn sollte doch eigentlich sein, diese Botschaft an die Basis der muslimischen Communitys zu kommunizieren, natürlich auch in türkischer Sprache."
Minister will Ditib nochmals auffordern
Die Erklärung vom 16. Oktober zur Verurteilung des Hamas-Terrors sei "klar und eindeutig und lässt keinen Spielraum für Interpretationen oder Relativierung", sagte Minister Liminski am Dienstag dem WDR. Er habe die muslimischen Verbände mehrfach aufgefordert, den Text zu veröffentlichen und intern zu verbreiten. Einige seien dem auch nachgekommen, "andere nicht". Die werde er jetzt nochmals dazu auffordern, so der Minister und Chef der Staatskanzlei.
Er appelliere an die muslimischen Verbände, "den Mut und die Klarheit, die sie mit der Formulierung dieser gemeinsamen Erklärung bewiesen haben, jetzt auch gegenüber ihren eigenen Leuten an den Tag zu legen".
Die Ditib sei dazu aufgerufen, sich von den Worten von Präsident Erdoğan und auch des Diyanet-Vorsitzenden aus Ankara klar zu distanzieren. "Dieser Hass und diese Hetze gegen Israel und die Juden ist nicht kompatibel mit dem, was uns in NRW miteinander verbindet." Das habe er bei dem Treffen in der Moschee in Bochum gegenüber dem Generalsekretär der DITIB unmissverständlich deutlich gemacht.
Erdoğan verteidigt Hamas
Die Zurückhaltung der Ditib sehen Kritiker aber auch im Zusammenhang mit den jüngsten Äußerungen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Der hatte vergangene Woche in einer Rede vor Abgeordneten seiner AK-Partei gesagt: "Die Hamas ist keine terroristische Organisation. Die Hamas ist eine Befreiungsgruppe, die kämpft, um ihr Land zu schützen" - und damit auch in Deutschland für viel Verwirrung gesorgt. Als der türkischen Religionsbehörde direkt unterstellt gilt die Ditib auch als "langer Arm Erdoğans" in Deutschland.
Wie soll es nun weitergehen? Man habe vereinbart, im Austausch zu bleiben, sagte Liminski. Diese Erwartung seitens der Landesregierung werde "auch weiterhin zum Ausdruck kommen". Zum geplanten Deutschlandbesuch Erdoğans sagte Liminski, es sei immer wichtig, bei Meinungsdifferenzen miteinander zu reden. "Ob man Präsident Erdoğan allerdings eine solche Bühne in dieser Zeit bieten muss angesichts seiner Hetze, das ist fragwürdig."
Ditib lehnt "Jubeleskapaden auf deutschen Straßen" ab
Update 03.11.2023: Auf eine WDR-Anfrage hatte die Ditib am Dienstag zunächst nicht reagiert. Donnerstagabend wies die Ditib dann auf mehrere Presseerklärungen hin, die islamische Verbände seit dem Anschlag der Hamas auf Israel veröffentlicht hatten. In einer Erklärung vom 11. Oktober hatte Ditib "die unsäglichen Angriffe der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung im Nahen Osten aufs Schärfste" verurteilt. Weiter heißt es: "Daher mahnen wir davor, die Angreifer mit dem palästinensischen Volk gleich zu setzen und alle Palästinenser bzw. den gesamten Gaza-Streifen in Mitverantwortung zu nehmen und als legitime Ziele zu betrachten. Das Existenzrecht Israels darf nicht in Frage gestellt werden, ebenso das Existenzrecht Palästinas."
Auch "Ermutigungen, gar Aufforderungen zu mehr Gewalt, aber auch Jubeleskapaden angesichts dieses Leidens – nicht nur auf deutschen Straßen" seien entschieden abzulehnen, stellt Ditib in der Presseerklärung klar. "Angriffe gegen Gotteshäuser hier in Deutschland sind inakzeptabel."
Doch der Verband beklagt auch, dass Muslime, Moscheen oder muslimische Verbände nun "in Sippenhaft" genommen würden, dass "die üblichen Hetzer und Populisten" auch in Deutschland diese Vorverurteilung "zur Projektionsfläche für ihren Geltungsdrang oder ihre politischen Ambitionen" machten. Wer genau damit gemeint ist, bleibt offen.
Presserklärung auf Ditib-Homepage nicht zu finden
Auf der Homepage der Ditib ist diese Presseerklärung vom 11.10. allerdings auch im Pressebereich nicht zu finden. Unbeantwortet lässt Ditib bislang auch die eigentliche Frage: Inwieweit diese Bekenntnisse auch in türkischer Sprache an die Basis der Moscheevereine kommuniziert werden - wenn nicht in sozialen Medien und auf der Homepage. Und wie vor diesem Hintergrund die Israel-Hetzrede des Diyanet-Präsidenten einzuordnen ist.
Ein ebenfalls übersandter, nicht weiter kommentierter Text der DITIB-Predigtkommission vom 13.10.2023 enthält offenbar eine Ansprache an die muslimischen Gemeinden. Darin heißt es "Wir sagen 'Nein!' zu allen Arten von heißen und kalten Kriegen. Als Muslime verurteilen wir alle terroristischen Handlungen, unabhängig davon, von wem sie ausgehen und gegen wen sie gerichtet sind, und wir akzeptieren niemals Unterdrückung, Gewalt und Tyrannei." Ob und wo diese Predigt gehalten wurde, sagte die Ditib bislang nicht.