Ganz so "verrückt" wie beim parallel stattfindenden Parteitag der baden-württembergischen AfD wird es nicht zugehen. In Rottweil weiß keiner so richtig, welcher Teil des Vorstandes nun das Ruder des Süd-West-Verbandes in der Hand hält. Außerdem liegt ein Antrag zum Verbot sogenannter Chemtrails zur Diskussion und Abstimmung vor - was unter klar denkenden Menschen als Verschwörungstheorie gilt.
Über 500 Kilometer weiter nördlich geht es da schon realpolitischer zu, aber tatsächlich ist das Treffen in Marl um einiges brisanter. Für nicht wenige in der Partei hängt die Zukunft der AfD an diesem Landesparteitag. Zunächst dreht sich die Veranstaltung darum, wie geschlossen der neue und in großen Teilen dann alte Landesvorstand im Amt bestätigt wird. Daran wird man ablesen können, wie man es künftig mit dem Rechtsextremismus hält.
"NRW-AfD hat sehr große Verantwortung"
Das Ziel ist nicht, die AfD zu einer konservativen Mitte-Partei zu machen. Niemand innerhalb des größten Landesverbandes behauptet, dass die AfD keine Partei "Rechts der Mitte" sei. Aber sie sei nun mal keine rechtsextreme Partei. Man gehe damit sehr sensibel um, sagte NRW-Parteichef Martin Vincentz unlängst im WDR-Interview. "Auch in dem Wissen darum, dass wir als rechteste Partei im bundesdeutschen Parteienspektrum eine sehr große Verantwortung haben, uns zu Rechtsextrem auch abzugrenzen".
Seit über zwei Jahren ist der 37-Jährige Landeschef. Würde er wiedergewählt, wäre er Rekordhalter aller bisherigen AfD-Landeschefs. In der zehnjährigen Parteigeschichte hielt es dann keinen länger an der Spitze. Die AfD in NRW war immer schon ein von Flügelkämpfen und persönlichen Ambitionen geprägter und bisweilen dysfunktionaler Verband.
So gab es zwischen 2017 und 2022 keine Parteitreffen, die nicht von Streit ums Personal überschattet wurden. Auf dem Höhepunkt wurde Anfang 2020 sogar ein Parteitag vorzeitig beendet, ohne inhaltliche Empfehlungen für den Kommunalwahlkampf diskutiert zu haben.
Der kommende Höcke-Gegenspieler?
Auch unter Vincentz ging der Streit weiter, verlagerte sich aber mehr in den Hintergrund. Der bundespolitisch ambitionierte Parteichef sieht sich selbst als Alternative zur neurechten AfD-Galionsfigur Björn Höcke. Der thüringische Landeschef steht im Herbst möglicherweise vor einem großen Wahlerfolg, will sogar Ministerpräsident im kleinen Flächenland werden. Und das, obwohl die AfD in Thüringen vom dortigen Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird.
Für viele im NRW-Vorstand, so hört man es inoffiziell, wäre es ein Horror-Szenario, würde die eigene Partei in die Erfurter Staatskanzlei einziehen. Daher will man mit einer eigenen Liste nach außen demonstrieren, dass der größte Landesverband vor allem personell eine der letzten Brandmauern gegen den internen Extremismus ist. Seit Tagen kursiert in der Partei ein Tableau, das vornehmlich mit loyalen Mitstreitern von Martin Vincentz gefüllt ist.
Es ist wahrscheinlich, dass diese Liste in großen Teilen vom Parteitag bestätigt wird. Trotz vereinzelter Störversuche gibt es keinen wirklichen Gegenkandidaten. Einer, der Vincentz dennoch unter Druck setzen will, ist Matthias Helferich. Der Dortmunder Bundestagsabgeordnete ist dem Dunstkreis des rechtsextremen Lagers zuzurechnen.
In seinem Wahlkreis organisierte er zuletzt eine Lesung des neurechten Publizisten Götz Kubitschek. In dessen Verlag erscheinen Bücher von Leuten wie Björn Höcke oder Martin Sellner, der "Posterboy" der sogenannten Identitätern Bewegung (IB). Meist geht es in den Schriften darum, wie man - gesellschaftlich akzeptiert - aus Deutschland eine autoritäre Scheindemokratie machen könne.
Der Kampf gegen die eigene Jugendorganisation
Matthias Helferich gilt in NRW als ideologischer Unterstützer dieses Kurses. Dem WDR bestätigt er, dass er sich vorbehalte, am Wochenende für einen Vorstandsposten oder für einen Platz im Landesschiedsgericht zu kandidieren. "Sonst wäre es ja langweilig", schreibt er. Bereits 2022 gelang es ihm schon einmal, einen kompletten Durchmarsch des Vincentz-Lagers zu verhindern.
Beim Parteitag in Siegen wurde er in das Schiedsgericht gewählt, flog aber nach dem zwischenzeitlichen Entzug der Mitgliedsrechte wieder raus aus dem mächtigen Gremium. Würde Helferich erneut eine Mehrheit für ein wichtiges Amt finden, die Geschichte des Gegenpols zur weiteren Radikalisierung der AfD wäre passé.
Wie ernst diese Gefahr innerhalb der Gruppe um Landeschef Vincentz genommen wird, zeigen Entscheidungen aus der Woche vor dem Parteitag. So wurde Nils Hartwig aus der Partei geworfen. Der stellvertretende Landesvorsitzende der Jungen Alternative (JA) soll mit einer Fake-Mailadresse ein Parteimitglied beim Arbeitgeber denunziert haben.
Junge Alternative bleibt draußen
Auch die Junge Alternative wird auf dem Parteitag nicht aktiv in Erscheinung treten. Man habe auf ihre Mithilfe bei Organisation des Parteitages verzichtet, heißt es aus Kreisen des Parteivorstandes. Nach WDR-Informationen hat die Landespartei ihrer eigenen Jugendorganisation sogar die finanziellen Zuwendungen gestrichen.
Ein Grund für diesen in der Parteiengeschichte ungewöhnlichen Schritt gegen die eigene Jugendorganisation: Die JA wird inzwischen auch in NRW vom Verfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft, gilt zudem als größter Unterstützerkreis für Matthias Helferich.
Dieses harte Vorgehen des NRW-Vorstandes scheint inzwischen auch Björn Höcke zu beunruhigen. Eigentlich hat er sich bisher immer aus Debatten anderer Landesverbände herausgehalten. In einer für ihn ungewöhnlichen Wortmeldung im "Institut für Staatspolitik" bat er jetzt jedoch die Delegierten in Marl, sich mit der Jungen Alternative zu solidarisieren und warnte vor einer Spaltung der AfD. Ein entsprechender Antrag liegt für die Tagesordnung vor, unterstützt und gezeichnet von: Matthias Helferich.