Die Totengräber der EU stelle ich mir genau so vor: als Insider des Brüsseler Betriebs. Als Menschen, die es auf der Bühne der Europahauptstadt zu etwas gebracht haben, zum Beispiel im EU-Parlament oder in der EU-Kommission.
Die Totengräber haben kein politisches Ziel. Sie wollen die Europäische Union nicht bekämpfen und ihr Ziel ist es auch nicht, ihr Heimatland aus der EU rauszuholen. Von Geldgier getrieben wollen sie nur eines: ihre Position im Brüsseler Getriebe zum eigenen Vorteil ausnutzen - bis zum Exzess.
Die wahren Gefährder der EU
Die abgesetzte Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili
Sollten sich die Vorwürfe gegen die mittlerweile ihres Amtes enthobene griechische Vizepräsidentin des EU-Parlaments Eva Kaili bewahrheiten, hätte sie das Zeug zur Totengräberin der EU.
Existentiell gefährdet ist die EU nämlich nicht von Mitgliedern, die sie verlassen wollen, nicht von einem britischen Ex-Premier namens Boris Johnson und seinem "Briten raus aus der EU"-Getöse. Wer Brüssel verlässt, ist für Europa nicht gefährlich. Für die EU existenzbedrohend ist, wer nach Brüssel geht, um die EU und ihre Institutionen skrupellos zu benutzen. Gefährlich für die EU ist, wer scheinbar für sie arbeitet und gleichzeitig Hunderttausende in Wohnungen und Koffern hortet.
So wie im Fall Eva Kaili, die Geld von Katar angenomen haben soll, um für das Land politische Entscheidungen zu beeinflussen. Klar, noch sind es Indizien, noch gilt für die Beschuldigten die Unschuldsvermutung. Aber die Öffentlichkeit hat angesichts der massiven "in flagranti"-Spuren ihr Urteil bereits gefällt.
Warum hat niemand Fragen gestellt?
Wieso hat sie niemand zur Rede gestellt, als sie sich in einen mächtigen Ausschuss des Parlaments geschlichen hat, in dem sie eigentlich nichts zu suchen hatte? In diesem Ausschuss hat sie dafür gestimmt, dass die EU über Visa-Erleichterungen für Katar verhandelt. Unfassbar, dass niemand aufgestanden ist und gefragt hat, "Was ist hier eigentlich los?"
Die besten Transparenzregeln bringen nichts, wenn sich eine sozialistische Parlaments-Vizepräsidentin ganz offensichtlich und plötzlich zur Handlangerin eines reichen und für seine Korruption bekannten Rohstoffstaates macht und trotzdem niemand zur Alarmglocke greift.
Massiver Image-Schaden für Europa-Politik
Die EU gilt durch diesen Skandal als Raumschiff der Geldgierigen. Denen fünfstellige Monatsgehälter und satte Brüssel-Privilegien nicht reichen. Die sich politisch prostituieren, die EU-Institutionen zur Witzfigur machen und zu jedem und allem bereit sind, wenn Auftraggeber wie Katar nur gut und in Cash zahlen.
Ein Korruptions-Weltmeister namens FIFA reicht. Wir brauchen keinen mit unseren Steuergeldern subventionierten FIFA-Korruptions-Konkurrenten, murren viele meiner Bekannten. Ich kann ihren Unmut gut verstehen! Die EU hat nämlich selbst eingefleischten Freunden in letzter Zeit viel zugemutet.
Zum Beispiel mit einer Kommissionspräsidentin von der Leyen. Obwohl sie bei der Europawahl 2019 gar nicht als Spitzenkandidatin angetreten ist, hat sie das Amt der Kommissionspräsidentin am Ende bekommen. Und der EU-Frust ist mit einer möglichen "Korruptionspräsidentin" namens Kaili noch nicht unbedingt zu Ende. Wer weiß, wer noch auf der Geldtütenliste des Bestechungsemirats Katar steht.
Kaili zerstört die Arbeit engagierter Parlamentarier
Die geldgierigen Pseudo-Parlamentarier vernichten, durch den Imageverlust den sie der EU zufügen, auch indirekt den Ruf der überwiegend sehr engagierten und europabegeisterten Abgeordneten.
Leid tun mir zum Beispiel EU-Parlamentarier wie der Essener SPD-Abgeordnete Jens Geier oder der Bochumer Christdemokrat Dennis Radtke. Beide kämpfen unter anderem dafür, dass die NRW-Industrie nicht den Bach runtergeht, angesichts der massiven America-first-Politik des amerikanischen Präsidenten. Ganz gleich ob rot, schwarz, grün oder gelb: Alle Fraktionen und alle 705 EU-Parlamentarier leiden jetzt unter einem Ansehensverlust. Einige leisten eine so herausragende, mutige und konsequente Arbeit, dass sie von Diktatoren wie Chinas Xi mit Strafmaßnahmen belegt werden. Der Grüne Reinhard Bütikofer zum Beispiel. Solche Parlamentarier mit Rückgrat und Niveau können sich momentan nur melancholisch grämen.
Demokratiefeinde lachen sich ins Fäustchen
Freuen können sich alle nationalistischen Feinde der EU: Von der AfD bis zu Marine Le Pen. Letztere hatte keine Hemmungen Geld von einer russischen Bank anzunehmen und steht selber im Verdacht, EU-Gelder veruntreut zu haben. Davon lenkt der jetzige Skandal herrlich ab. Und er taugt hervorragend dazu, das Klischee des bürgerfernen Selbstbedienungsladens Brüssel zu zementieren.
Freuen können sich auch Brüssel- und Rechtsstaats-Verächter wie der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. Je mehr sich die EU durch korrupte Spitzenvertreter in Brüssel selbst schwächt, desto schwerer hat es in Zukunft ihre Anti-Korruptionsbehörde dem ungarischen Ministerpräsidenten auf die Finger zu klopfen. Jetzt kann Orban sagen: EU-Antikorruptionsbehörde? Die soll gefälligst erst einmal vor der eigenen Haustür kehren!
Das ist das Fatale an dem jetzigen Skandal: Die Korruptions-Amateure mit ihren auffälligen Geld-Tüten und -Koffern stärken indirekt die hochprofessionellen Abzocker von EU-Geldern, die viel zu klug sind, um sich auf frischer Tat ertappen zu lassen.
Wie geht es weiter?
Selbst wenn alles lückenlos aufgeklärt ist und die Verantwortlichen strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, bleibt die EU für lange Zeit in ihrem Ansehen massiv geschwächt. Russland und China können sich bei den betroffenen EU-Parlamentariern und bei den Scheichs von Katar bedanken. Die Totengräber der EU haben viele Gesichter. Aber egal wie attraktiv sie aussehen und egal wie viel Geld sie in Tüten horten: Die EU wird sie überleben, wenn auch mit Blessuren.
Was meinen Sie, wird die EU diesen Skandal überleben? Was muss jetzt geschehen, damit sich so etwas nicht wiederholt? Schärfere Transparenzregeln? Und bringen die was, wenn es um Kriminelle geht, die skrupellos dagegen verstoßen? Lassen Sie uns darüber diskutieren - in den Kommentaren auf WDR.de oder bei Social Media.
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