Peter Imbusch, Inhaber des Lehrstuhls für Soziologie an der Bergischen Universität Wuppertal, beschäftigt sich seit Langem mit sozialen Konflikten und dem Phänomen der politischen Gewalt. In einer empirischen Studie kamen er und seine Mitarbeiter bereits 2021 zu dem Ergebnis, dass Bedrohungen und Angriffe gegen Politiker und Politikerinnen im Bergischen Städtedreieck Remscheid, Solingen und Wuppertal stark zugenommen haben.
WDR: Herr Imbusch, ein Dresdner SPD-Politiker wird krankenhausreif geschlagen, ein grüner Bürgermeister in Essen brutal attackiert, hinzu kommen viele weitere Angriffe auf Wahlkämpfer, die nur Plakate aufhängen wollten. Hat Gewalt gegen Politiker eine völlig neue Qualität erreicht?
Peter Imbusch: Es spricht viel dafür, dass die Vorfälle nicht nur quantitativ zugenommen haben, sondern auch brutaler geworden sind. Und ich spreche dabei nicht nur von physischer Gewalt, sondern auch von Bedrohungen und aggressiven Pöbeleien. Darauf deuten alle wissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema hin.
Ob es sich aber um eine völlig neue Entwicklung handelt, darüber kann man diskutieren. Es ist auch möglich, dass es eine erhöhte Sensibilität der Öffentlichkeit gibt und deshalb auch eine gestiegene mediale Berichterstattung. Dass es aber auch in der Vergangenheit immer wieder zu brutalen Angriffen auf Politiker gekommen ist, dürfte jedem bekannt sein. Ich denke da beispielhaft an die Attentate auf Wolfgang Schäuble oder die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker.
WDR: Wer sind die Täter? Und wer wird zum Opfer?
Imbusch: Seit einigen Jahren registrieren wir insgesamt eine deutliche Zunahme der rechten Gewalt - nicht nur, aber auch gegen Politiker. Auch bei der linksextremistischen Gewalt gibt es einen leichten Trend nach oben, allerdings nicht im gleichen Maße wie von rechts. Das spiegelt sich auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik wider.
Peter Imbusch
Zum Opfer kann im Grunde so gut wie jeder werden, der sich politisch engagiert und damit etwa durch seine Politik auch angreifbar macht. Und da man in einer demokratischen Gesellschaft nur begrenzte konkrete Möglichkeiten hat, gegen einen gefühlten politischen Feind vorzugehen, schlägt blinde Wut immer wieder in Gewalt um. Das gilt vor allem für junge Menschen mit klaren Feinbildern aus dem rechten Spektrum, wie man jetzt im Fall des Dresdner SPD-Politikers Ecke sehen kann.
WDR: Aber AfD-Politiker werden doch auch überdurchschnittlich oft Opfer von Gewalttätern ...
Imbusch: Die AfD neigt sehr dazu, sich in der Öffentlichkeit als Opfer darzustellen. Natürlich kommt es hin und wieder auch zu solchen Attacken, das soll gar nicht schöngeredet werden. Aber wer ständig gegen Minderheiten hetzt, Andersdenkende dämonisiert und indirekt zu Gewalt gegen ganze Bevölkerungsgruppen aufruft, der muss sich fragen lassen, welche Verantwortung er selbst an einer Verrohung des politischen Diskurses hat.
WDR: Auch in der bundesdeutschen Vergangenheit gab es Phasen, in dem der politische Wettstreit sehr aggressiv ausgetragen wurde, zum Beispiel bei der Kanzlerkandidatur von Franz Josef Strauß (1980). Gab es damals schon eine ähnliche Entwicklung?
Imbusch: Damals hat sich verbale Auseinandersetzung vor allem auf das Parlament konzentriert - bis hin zu wüsten Beschimpfungen. Dass es aber deshalb regelmäßig zu Handgreiflichkeiten auf der Straße gekommen ist, das wäre mir neu.
WDR: Ist Gewalt gegen Politiker und Politikerinnen nur ein deutsches Problem?
Imbusch: Wir sind damit in Deutschland nicht alleine. Ich habe mich im Rahmen eines Projekts gerade erst mit der Situation in Österreich und der Schweiz beschäftigt. Da gibt es ganz ähnliche Tendenzen. Wie es anderswo in Europa aussieht, kann ich auf Anhieb nicht sagen.
WDR: Wie kann man zur Deeskalierung beitragen? Wie "heilt" man so etwas?
Imbusch: Kurzfristig ist das kaum möglich. Man kann natürlich die Strafverfolgung intensivieren, wie es jetzt auch NRW-Innenminister Herbert Reul gefordert hat. Aber Ursachen für die gestiegene Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft gibt es wahrscheinlich mehrere. Und nicht auf alle haben wir direkten Einfluss. Ich denke dabei an die zahlreichen Krisenzeiten, mit denen wir alle seit Jahren konfrontiert werden. Solche Krisenzeiten erzeugen mit ihren Verwerfungen und Ungleichheiten zum Beispiel viele Modernisierungsverlierer und Wutbürger. Diese sollten deshalb nicht vergessen werden. Sie sind ansonsten ein leichtes Rekrutierungspotenzial für Demagogen und Rechtsextreme, sodass auf lange Sicht eher noch eine weitere Eskalation droht.
Das Interview führte Andreas Poulakos.
Über dieses Thema berichteten wir am Dienstag, 7. Mai, auch in "WDR aktuell" im WDR-Fernsehen.