Mann lernt Klavier zu spielen

Instrumente lernen: Wieso Apps eine Musikschule nicht ersetzen können

Stand: 15.05.2024, 06:00 Uhr

Ein Instrument lernen ganz ohne Musiklehrer? Das geht - versprechen zumindest viele Apps. Den klassischen Unterricht an der Musikschule ersetzen sie aber nicht, sagen Experten.

Von Victor Fritzen

Ein junges Mädchen sitzt vor einem Laptop und spielt Gitarre.

Vor allem junge Menschen lernen Instrumente immer häufiger mit digitalen Hilfsmitteln.

Musikinstrumente wie Gitarre oder Klavier sind seit jeher etwas zutiefst Analoges. Doch auch in der Musik schreitet das Digitale voran. Spätestens seit der Corona-Pandemie gibt es Apps wie Sand am Meer, mit denen man - so das Versprechen - Instrumente spielen lernen kann: Skoove, Music2Me oder Flowkey fürs Klavier, Yousician, Fretello oder JustinGuitar für die Gitarre. 

Matthias Krebs

Matthias Krebs

"In den App-Stores findet sich mittlerweile eine recht breite Auswahl an Apps, die dazu verwendet werden, Musikinstrumente zu lernen", sagt Matthias Krebs. Er forscht seit 15 Jahren zu Musikapps und berät Musikschulen und -verbände. Für die ersten Schritte gebe es beispielsweise Yousician, Fortgeschrittene nutzten Tonestro. "Die Frage ist aber, ob das akzeptiert wird, wie dann am Ende gespielt wird. Damit besteht man jedenfalls noch keine Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule", sagt Krebs. "Wenn man in der Hochkultur dabei sein will, dann reicht das nicht aus. Dafür braucht es vor allem Vorbereitung durch Lehrkräfte mit entsprechenden Erfahrungen."

Die Apps könnten beurteilen, ob man Töne richtig spielt oder das Timing passt, nicht aber die Finger- und Körperhaltung oder den künstlerischen Ausdruck. Der Musiklehrer könne darauf ganz anders eingehen. "Er kann Feedback zum Spiel des Lernenden geben und auch problembezogen Optionen vormachen, wie man Spielbewegungen besser ausführen kann."

Thomas Hanz vom Landesverband der Musikschulen NRW

Thomas Hanz vom Landesverband der Musikschulen NRW

Auch Thomas Hanz vom Landesverband der Musikschulen NRW ist sich sicher: Digitale Angebote können den klassischen Unterricht und das persönliche Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler nicht ersetzen. Vor allem bei Kindern im Grundschulalter sei der Kontakt mit einem Musiklehrer mindestens einmal in der Woche sehr wichtig. "Gerade in diesem Alter passiert bei den Kindern im Gehirn immens viel. Und da ist der persönliche Kontakt wichtiger als jede App", sagt der Pädagoge. Digitale Hilfsmittel, so sein Credo, sollten in diesem Alter nur dann im Unterricht eingesetzt werden, wenn sie wirklich sinnvoll sind - beispielsweise bei einem digitalen Hausaufgabenheft.

Digitalisierung der Musikschulen in NRW

"Musikschulen können digitale Trends aber auch nicht einfach ignorieren", sagt Matthias Krebs. Im Rahmen einer Digitaloffensive werden deswegen in NRW seit drei Jahren die Musikschullehrerinnen und -lehrer digital fit gemacht im Umgang mit Apps und Künstlicher Intelligenz. Konferenzkameras, Tablets, Smartboards und Apps sind in den Schulen mittlerweile genauso normal wie Notenständer, Klavier und Bleistift.

Und an jeder der 142 teilnehmenden Schule gibt es einen sogenannten Digitalagenten, der das Wissen an Kolleginnen und Kollegen vermitteln soll. Einer davon ist Sebastian Bauer in Dormagen. Der Schlagzeuglehrer hat beobachtet, dass die Schüler inzwischen lieber mit Übe- und Spiele-Apps spielen als mit herkömmlichen Noten. Er steht voll und ganz hinter dieser Form der digitalen Lernunterstützung.

"Da ist technisch gesehen viel passiert. Dass die Klangqualität nicht so sehr abreißt. Und dass man sagen kann: Ich habe hier einen Schüler, der möchte den Song spielen, aber der kann noch nicht so ganz mithalten. Wir ziehen dann das Tempo runter, gucken, dass wir kleine Snippets machen und ihm daraus den Song aufbauen." Schlagzeuglehrer Sebastian Bauer

Musiklehrer als Avatar?

Noch gibt es keine App, die einen Musiklehrer komplett ersetzen könne, sagt Thomas Hanz. "Was aber technologisch denkbar ist, dass es 2030 schon eine KI gibt, die von einem Lehrer gepromptet und als Avatar dargestellt werden kann."

Auch Matthias Krebs glaubt nicht, dass Musikschulen auf kurz oder lang durch Apps zum Selbstlernen überflüssig werden. "Denn Musikschulen sind Teil einer etablierten Kultur, die Identität stiftet. Es ist kaum möglich, Musikschulen überflüssig zu machen."

Über dieses Thema haben wir auch am 15.05.2024 im WDR 5 "Morgenecho" berichtet.

Quellen:

  • Interview mit Thomas Hanz vom Landesverband der Musikschulen
  • Interview mit Matthias Krebs von der Berliner Forschungsstelle Appmusik
  • Interview mit Schlagzeuglehrer Sebastian Bauer

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