Die Panik der Menschen im Ahrtal

Aktuelle Stunde 03.05.2024 34:29 Min. UT Verfügbar bis 03.05.2026 WDR Von Marius Reichert

Drei Jahre nach der Flut im Ahrtal: "Offenbar gehört das jetzt zu unserer Realität"

Stand: 03.05.2024, 17:31 Uhr

Der Kreis Ahrweiler war von den schweren Unwettern am Donnerstagnachmittag besonders betroffen. Was bedeutet das für die Menschen dort - drei Jahre nach der Flutkatastrophe.

Von Catharina Coblenz, Marius Reichert

"Viele von uns haben Schreckliches erlebt. Und wenn Regen kommt und dann noch in einer solchen Dimension - das macht Angst und es triggert", sagte Landrätin Cornelia Weigand im Gespräch mit dem WDR. Die schweren Unwetter am Donnerstag, die auch NRW getroffen haben, waren für viele Menschen im benachbarten Ahrtal ein Schock.

WDR-Reporter Marius Reichert hat schon oft aus der Region in Rheinland-Pfalz berichtet und war auch jetzt wieder dort. Er sagt, dass die Menschen den Abend in großer Sorge erlebt haben. Auch wenn der Starkregen am Donnerstag nicht mit der Flutkatastrophe 2021 vergleichbar war.

Einsatz im Ahrtal - damals und heute

Vor drei Jahren kamen am Flutabend 135 Menschen ums Leben. Damals gab es erhebliche Mängel beim Katastrophenschutz. Der damalige Landrat Jürgen Pföhler kümmerte sich nach Zeugenaussagen eher um Privatangelegenheiten, als vor Ort zu unterstützen.

Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelte unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen Pföhler, stellte die Ermittlungen aber im April 2024 ein, ohne Anklage zu erheben.

Der Einsatz jetzt verlief deutlich strukturierter. Bereits am frühen Donnerstagnachmittag hatte die Landrätin des Kreises Ahrweiler, Cornelia Weigand, eine Grundbesetzung des Krisenstabes einberufen. Darin: Vertreter von Feuerwehr, Polizei, THW.

Mehr als 300 Einsätze nach dem Starkregen im Kreis Ahrweiler

Insgesamt rückte die Feuerwehr am Donnerstag zu mehr als 300 Einsätzen aus - 212 davon allein in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die Einsatzkräfte pumpten vollgelaufene Keller leer, sicherten überflutete und unterspülte Straßen oder blockierte Unterführungen.

"Es hat einen Starkregen gegeben, es sind viele Keller vollgelaufen, die ein oder andere Straße. Das ja. Aber alles etwas, das einfach in der Menge etwas größer ist, aber gut abzuarbeiten." Landrätin Cornelia Weigand
Technische Einsatzleitung im Landkreis Ahrweiler

Technische Einsatzleitung im Landkreis Ahrweiler.

Von Stunde zu Stunde verschärfte sich die Lage. Aufgrund der hohen Zahl an Einsätzen übernahm der Kreis Ahrweiler die Einsatzleitung von den Gemeinden und koordinierte zentral über die so genannte Technische Einsatzleitung (TEL).

"Einsatzleitung hat aus den Versäumnissen gelernt"

Marius Reichert steht in Ahrweiler am Flußbett

WDR Reporter Marius Reichert.

Die Landrätin beschrieb die Atmosphäre in der Einsatzzentrale, die in dieser Form erstmals nach der Flut eingerichtet worden war, als "sehr gewissenhaft". Zwischenzeitlich hatten Mitglieder der Einsatzzentrale davon berichtet, dass der Kreis Ahrweiler den Katastrophenfall ausgerufen habe. Diese Entscheidung wurde nach WDR-Informationen nach kurzer Zeit wieder zurückgezogen. Es blieb bei Warnstufe vier. 

"Ich habe die TEL an dem Abend als sehr professionell erlebt. Es gab regelmäßige Lagebesprechungen und immer neue Informationen über Social Media an die Bevölkerung." Reporter Marius Reichert

Reichert hatte die Einsatzleitung am Donnerstagabend besucht. Er sagt: "Mein Eindruck ist: Die Einsatzleitung hat aus den Versäumnissen gelernt." Eine Verbesserung sei schon ihre örtlichen Verlegung - aus einem Keller in der Kreisverwaltung ohne Empfang, auf eine Anhöhe in Ahrweiler. Außerdem seien die Aufgabenbereiche zu jeder Zeit klar verteilt gewesen, berichtet Reichert.

Mit dem Unwetter kam die Angst zurück

In Bad Neuenahr hatte es die Straße "Im Dellmich" besonders getroffen. Es ist eine ruhige Straße hinauf in die Weinberge. Dort bewegte sich gestern Nachmittag eine Schlammlawine ins Tal. Annegret Mülle hat alles mit ihrem Handy festgehalten.

"Da bekommt man richtig Angst, wenn man das sieht", sagte die pensionierte Lehrerin. "Aber ich glaube, wir müssen uns damit abfinden, dass so etwas öfter passieren wird."

Aufgeplatze Straße in Bad Neuenahr

Aufgeplatze Straße in Bad Neuenahr.

In ihrer Straße laufen die Aufräumarbeiten bereits seit der Nacht. Der städtische Bauhof füllt die Löcher in der unterspülten Straße notdürftig. Versicherungsmakler kommen vorbei, um beschäftige  Häuser und Fahrzeuge zu dokumentieren, von denen einige vom Wasser mitgeschleift wurden. "Die Wucht des Wassers ist einfach unglaublich", resümiert Nachbarin Karin Crange.

In der Ramersbacher Straße in Ahrweiler dauerte es stundenlang, die Keller wieder leerzupumpen. Anwohner Reiner Marschall sagt: "Wir sind wenige Meter von der Ahr entfernt. Offenbar gehört das jetzt zu unserer Realität, dass wir so etwas erleben müssen."

Er sagt aber auch: "Kein Vergleich zu 2021." Zählen könne er auf die Nachbarschaft, die seit der Flut extrem zusammengewachsen sei.

Was hilft gegen die Ängste?

Markus Schmitt ist Psychologe an einer Fachklinik in Ahrweiler. Er berichtet, dass sein Telefon gestern nicht stillstand. Seine Patienten riefen ihn panisch an, alle Sorgen seien wieder da. "Nach einer Erfahrung wie der Flut reicht bereits ein Sirenengeheul, um die Menschen sehr zu verunsichern."

Was dabei helfen könne? "Zusammenkommen, Ablenkung", sagt der Psychologe. Er denkt dabei an die Cafés, die seit der Flut für Betroffene bestünden. Dort seien auch gestern Menschen zusammengekommen und hätten die schlimmsten Stunden des Unwetters miteinander verbracht.

Investitionen in den Hochwasserschutz an der Ahr

Landrätin Cornelia Weigand blickt zurück auf die Einsatznacht

Landrätin Cornelia Weigand blickt zurück auf die Einsatznacht.

Am Mittag blickt die Landrätin des Kreises Ahrweiler auf die Einsatznacht zurück. Sie erklärt, dass es punktuell starke Regenfälle gegeben habe. "Das hat dazu geführt, dass einzelne Orte gar nicht, und andere besonders stark betroffen waren", so die Landrätin. Regenmengen von bis zu 80 Liter pro Quadratmeter seien "unberechenbar".

Damit reagiert die Landrätin auf Vorwürfe einer Bürgerinitiative, die marode Kanäle und den aus ihrer Sicht schleppenden Wiederaufbau für die vielen vollgelaufenen Keller verantwortlich macht. Weigand kündigte weitere Investitionen in den Hochwasserschutz an. Diese bräuchten aber Zeit bis zur Umsetzung.

Quellen:

  • WDR Reporter Marius Reichert
  • Kreisverwaltung Ahrweiler
  • Landrätin Cornelia Weigand zu WDR 2