Kommentar zum Sengera-Urteil
Freispruch dritter Klasse
Stand: 19.06.2008, 12:14 Uhr
Der Prozess gegen den früheren WestLB-Chef Jürgen Sengera vor dem Düsseldorfer Landgericht endete mit dem erwarteten Freispruch. Die Staatsanwaltschaft, die eine Gefängnisstrafe von zwei Jahren zur Bewährung sowie eine empfindliche Geldbuße gefordert hat, wird gegen dieses Urteil Revision vor dem Bundesgerichtshof einlegen - und das ist gut so.
Von Regine Deitermann
Vor knapp vier Jahren hatte der Bundesgerichtshof bereits einmal ein Urteil von Richterin Brigitte Koppenhöfer kassiert, nämlich den Freispruch im ersten Mannesmann-Verfahren.
Der mittlerweile 65-jährige Jürgen Sengera hat nach Meinung von Richterin Brigitte Koppenhöfer ohne Schadensvorsatz gehandelt, auch persönliches Erfolgstreben und Geltungssucht waren für das Gericht nicht erkennbar. Das begründet den Freispruch. Im herkömmlichen Sinne, Schuld an den Milliardenverlusten, die der WestLB durch den Kredit an Boxclever, das 2003 in die Insolvenz schlitterte, entstanden sind, trägt aber auch Sengera.
Auch wenn es diese juristische Kategorie nicht gibt, das ist ein Freispruch dritter Klasse. Unter Sengeras Führung hatte sich die WestLB gezielt auf die Finanzierung von Großprojekten konzentriert, wollte als international wenig bekannte Bank im Geschäft mit den ganz großen mitmischen und über ihre Londoner Niederlassung, der die attraktive Robin Saunders, eine der schillerndsten Figuren der Finanzszene, vorstand, ist das auch in einigen Fällen gelungen. Kurz gesagt, die WestLB ist einem Höhenrausch erlegen.
Aussicht auf das große Geld
Auch beim Thema Boxclever sind häufiger die Alarmlampen angegangen, doch die haben Sengera und wohl der gesamte Vorstand nicht ernst genommen und nicht mit Nachdruck gewarnt. Sie alle haben sich von ihrer Londoner Niederlassung mit der Aussicht aufs große Geld unter Druck setzen lassen. Das Urteil über Jürgen Sengera als Banker ist nach dem Prozess vernichtend. Er hat sich dem Druck, der von der britischen Niederlassung ausging, den Milliarden-Kredit schnell zu bewilligen, widerstandslos gebeugt, auf verlässliche Geschäftszahlen und Geschäftsmodelle weitgehend verzichtet. Die Mahnung zu Vorsicht, die vom Kreditüberwachungsausschuss im eigenen Haus ausging, in den Wind geschlagen, das Vermögen der Bank aufs Spiel gesetzt. Das alles reicht aber nicht, um den Vorwurf der schweren Untreue und eine vorsätzliche Inkaufnahme des Schadens und damit eine Strafe zu begründen.
Das Urteil hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack, denn hätte Jürgen Sengera seine Pflichten genauer wahrgenommen, sorgfältiger geprüft, wäre der Milliardenkredit nicht genehmigt worden. Die Formulierung der Richterin, dass man im Nachhinein immer klüger ist, klingt wie Hohn. Die WestLB hat sich von dem Desaster bis heute nicht richtig erholt, musste im vergangenen und diesem Jahr durch hohe Abschreibungen aufgrund der internationalen Finanzkrise von ihren Eigentümern mit Finanzspritzen in Milliardenhöhe gerettet werden.