Johannes Rau (li.) und Wolfgang Clement

"Den Menschen zugewandt"

Wolfgang Clement über Johannes Rau

Stand: 27.01.2006, 16:25 Uhr

"Ich denke an ihn, und ich werde ihn nicht vergessen", sagt Wolfgang Clement nach dem Tod von Johannes Rau. Die beiden Politiker haben jahrzehntelang eng zusammengearbeitet. Clement war Raus Nachfolgerals NRW-Ministerpräsident.

WDR.de: Johannes Rau ist nach schwerer Krankheit heute gestorben. Er war 20 Jahre lang Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Was ist aus ihrer Sicht das wichtigste politische Erbe dieser Zeit in Nordhein-Westfalen?

Wolfgang Clement: Lassen Sie mich zunächst einmal sagen, dass ich sehr traurig bin darüber, dass Johannes Rau heute gestorben ist. Dass er nach so langer Krankheit es nicht geschafft hat, wieder zu Kräften zu kommen. Ich denke jetzt an ihn, seine Frau Christina und seine Familie. Ich habe viel Trauer im Herzen, dass er jetzt von uns gegangen ist.

Er war sicher einer der großartigsten Politiker der Bundesrepublik mit einem außerordentlich hohen Ansehen bei den Bürgerinnen und Bürgern. Die Menschen haben gespürt, dass er sich um sie kümmert. In Nordrhein-Westfalen war sicherlich das wichtigste der Aufbau der Bildungslandschaft in den siebziger Jahren. Er hat sich immer um die Schulen und Hochschulen gekümmert. Sicherlich ist das die größte Tat, die er vollbracht hat.

WDR.de: Sein höchstes Amt war das des Bundespräsidenten. Wie hat er in dieser Zeit die Bundesrepublik politisch verändert?

Clement: Er hat sicherlich zum Gespräch, zur Nachdenklichkeit in Deutschland beigetragen und auch zu einigen Veränderungen. Als Bundespräsident - wie immer in seiner Zeit als Politiker - war das Verhältnis zu Israel für ihn von herausragender Bedeutung. Dem hat er unheimlich viel Kraft gewidmet, in Erinnerung an das, was wir aus Deutschland über die Juden in Deutschland und ganz Europa gebracht haben. Unvergessen ist seine Rede vor der Knesset. Erst gab es dort etwas Ablehnung, als bekannt wurde, dass er Deutsch sprechen würde. Nachher ist er sehr gewürdigt und gefeiert worden.

Er hat viele Reden in Deutschland gehalten, beispielsweise zur Zuwanderung, zur Gentechnologie und anderem, mit denen er die deutsche Diskussion maßgeblich beeinflusst hat. Unvergessen ist für alle in Deutschland sein Motto "Versöhnen statt spalten". Das heißt, dass die Menschen eher zueinander finden sollten, statt künstlich Gräben aufzuwerfen.

WDR.de: Er war immer ein Menschenfreund. Was fehlt dem Land jetzt ohne den Menschen und Menschenfreund Johannes Rau?

Johannes Rau (li) und Wolfgang Clement

Johannes Rau und Wolfgang Clement

Clement: Ich glaube, er hat gelehrt, dass das Gespräch das Wichtigste ist. Er hat wie kein Mensch, den ich gekannt habe und kenne, sich um andere gekümmert. Er hat den anderen und die andere wirklich ernst genommen. Er hat Menschen, die er einmal gesehen und erlebt hat, nicht vergessen. Und er hat sie das auch spüren lassen. Ich kenne niemanden, der so viele Menschen, so viele Daten von Menschen, so viel Kenntnis von Menschen in seinem Innern hatte wie Johannes Rau. Und das zeigt, dass das Wort vom Menschenfischer wirklich nicht falsch ist. Er hat sich den Menschen zugewandt.

WDR.de: Sie waren sein Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten und waren bereits vorher Mitglied seines Landeskabinetts. Wodurch war diese gemeinsame Zeit, die Sie mit ihm verbracht haben, besonders geprägt?

Clement: Das ist für mich unvergesslich. Ich bin eigentlich mit ihm seit 25 Jahren zusammen. Damals bin ich bei ihm gewesen und er hat mir geraten, das Amt des SPD-Sprechers anzutreten und daraus hat sich eine lange Partnerschaft ergeben. Ich habe außerordentlich gut mit ihm zusammengearbeitet, als Chef seiner Staatskanzlei, als Minister seines Kabinetts und dann als sein Nachfolger. Das waren Jahre, die unvergessen sind. Unsere Hauptaufgabe war immer die Umstrukturierung des Landes Nordrhein-Westfalen, also das Industrieland in eine neue Zukunft zu führen. Diese Aufgabe haben wir mit viel Mut angefasst, denke ich. Aber sie muss noch weitergehen.

WDR.de: Was bedeutet sein Tod für Sie persönlich?

Clement: Das ist ein schwerer Verlust vor allen Dingen für seine Frau Christina, die ihn auf Schritt und Tritt begleitet hat, gerade jetzt in der Krankheit. Es ist schwer für seine Kinder, an die ich jetzt denke. Unendlich viele Freunde in Nordrhein-Westfalen, in Deutschland, in der ganzen Welt werden traurig sein darüber, dass er jetzt doch schon gehen musste. Er hat anderthalb Jahre schwer gelitten. Ich denke an ihn, und ich werde ihn nicht vergessen.

Das Interview führte Urs Zietan.