Ex-RAF-Mitglied Klaus Jünschke im Gespräch (Teil 1)
"Die richtige Moral, die falschen Mittel"
Stand: 02.07.2007, 00:00 Uhr
"Von uns wurden Menschen ermordet", sagt Klaus Jünschke, früheres Mitglied der RAF. "Dafür gibt es keine Rechtfertigung." Der Terror der RAF ist für ihn ein "historischer Irrtum". Aber auch der Staat habe Fehler begangen, sagt er und fordert eine Aufarbeitung auf beiden Seiten.
Von Dominik Reinle
"Wenn heute ein junger Mann zu mir sagen würde, ich mache jetzt bewaffneten Kampf in der Bundesrepublik - den würde ich im Keller anbinden", sagt Klaus Jünschke. Er gehörte ab Herbst 1971 zur ersten RAF-Generation - zusammen mit Ulrike Meinhof, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Holger Meins und Jan-Carl Raspe. Heute ist er als Autor tätig und arbeitet mit straffälligen Jugendlichen und sozial benachteiligten Kindern.
Beim Gespräch auf seiner Dachterrasse in Köln lässt der fast 60-Jährige keinen Zweifel daran, dass der bewaffnete Kampf der RAF "ein historischer Irrtum" war. Auch wenn damit die Hoffnung verbunden gewesen sei, Herrschaft und Ausbeutung zu beseitigen. "Unser Engagement trug die richtige Moral in sich: gegen den Völkermord in Vietnam, für die weltweite Gerechtigkeit", erklärt Jünschke. "Aber wir haben die falschen Mittel und Methoden gewählt."
"Festnehmen lassen, statt töten"
Jünschke hat die RAF erstmals 1986 in einem offenen Brief aufgefordert, die Waffen niederzulegen: "Diese destruktive Praxis macht niemandem mehr Hoffnung auf Freiheit und Glück." Damals saß er schon 14 Jahre lang im Gefängnis, verurteilt zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Das Gericht ging davon aus, dass er zusammen mit Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in Kaiserlautern eine Bank überfallen hatte. Dabei wurde im Dezember 1971 der Polizist Herbert Schoner erschossen. Bis heute äußert sich Jünschke nur indirekt zum Vorwurf des gemeinschaftlichen Mordes. Für ihn ist es "eine der Tragödien der RAF", dass bei solchen Überfällen Menschen für Geld getötet wurden. Das passe nicht zusammen mit der Kritik an Kapitalisten, die für ihren Profit über Leichen gingen. "In so einer Situation hätte man die Größe haben müssen, sich festnehmen zu lassen, statt jemanden zu töten." Über die konkrete Tat aber schweigt er.
Unbeantwortete Fragen an den Staat
Fahndungsfoto von 1972
Auch über andere RAF-Aktionen gibt Jünschke nichts preis: "Die Voraussetzung für ein solches Gespräch wäre ein gegenseitiger Austausch, der in keiner Weise eingelöst wird." Stattdessen werde in der aktuellen Diskussion nur eine einseitige Aufklärung gefordert. "Wir sollen Auskunft geben über unsere Handlungen", sagt Jünschke, "aber wenn ich wissen will, wer meine Lebensgefährtin Elisabeth von Dyck erschossen hat, kriege ich keine Auskunft." Das RAF-Mitglied ist laut Jünschke beim Betreten einer überwachten Wohnung in Nürnberg im Mai 1979 von einer Polizeikugel tödlich in den Rücken getroffen worden.
"Dabei hatten Polizeibeamte, die vor dem Haus postiert waren, ihr Kommen den Kollegen in der Wohnung angekündigt", sagt Jünschke. Er hat an den Staat viele bisher unbeantwortete Fragen. "Beispielsweise, wo die Bänder geblieben sind, mit denen die Stammheimer Gefangenen abgehört wurden." [Ein Teil dieser Tonbänder tauchte einige Monate nach dem Gespräch mit Jünschke wieder auf. WDR.de dokumentiert Ausschnitte daraus.]
"Tod und Trauer gegenseitig respektieren"
Dass solche Fragen in der Debatte um das Leiden der Angehörigen der RAF-Opfer missverständlich klingen, weiß Jünschke. Er will jedoch, so sagt er, nicht ihr Leid relativieren oder aufrechnen. Das habe er bereits 1992 in einem Artikel für die "Tageszeitung" unter dem Titel "Tod und Trauer" dargelegt. Vielmehr müssten Tod und Trauer auf beiden Seiten respektiert werden. Die ehemaligen RAF-Mitglieder müssten wahrnehmen, dass alle 34 RAF-Opfer Menschen waren, um die Angehörige und Freunde trauerten. Politik und Gesellschaft müssten aber andererseits auch anerkennen, dass auch auf Seiten der RAF 27 Menschen gestorben sind. Diese würden aber bislang als "eine Art mindere Tote" von der Öffentlichkeit ignoriert, meint Jünschke. "Manche Medien und Politiker benutzen die Toten und die Trauer beider Seiten nur als politische Manövriermasse."
Dialog mit Angehörigen führen
Klaus Jünschke kurz nach der Entlassung
"Wenn es für Angehörige wichtig ist, mit mir zu sprechen, tue ich das auch", sagt Jünschke. Als er 1988 vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Bernhard Vogel (CDU) begnadigt und nach 16 Jahren Haft entlassen wurde, wandte sich die Familie von Braunmühl an ihn. "Sie haben gefragt, ob ich bereit wäre, mit ihnen zu reden." Zwei Jahre zuvor war der Diplomat Gerold von Braunmühl von der RAF erschossen worden. "Sie hatten mich im Fernsehen reden gehört und gesagt, dass ein Gespräch für sie hilfreich sein könnte, um die RAF zu verstehen." Daraufhin traf sich Jünschke mit der Familie in Bonn. Auch andere ehemalige RAF-Mitglieder hätten bereits ähnliche Gespräche mit Angehörigen geführt, erzählt Jünschke. Auf beiden Seiten seien dazu aber nicht alle Beteiligten in der Lage und bereit. Auch das sei zu respektieren. "Außerdem wäre es falsch, solche Treffen als öffentliche Reuebekenntnisse zu inszenieren, wie das teilweise gefordert wird."
>> Im zweiten Teil: Klaus Jünschke zur Diskussion über die RAF.